Der Gast des Kalifen
goldenen Pfeilen, einen Alabasterkelch mit Silberrand, ein Paar perlenbesetzte Seidenschuhe und so weiter. Dadurch schaffte ich mir ausreichend freien Raum, doch als ich mich bückte, um die Kiste wieder hochzuheben, rutschten ein paar Gegenstände von oben herunter, und schon bald war ich eifrig damit beschäftigt, die Schätze neu anzuordnen, damit nicht alles zusammenbrach.
Einer der Gegenstände erregte meine Aufmerksamkeit, als ich ihn hochhob. Es handelte sich um einen länglichen schwarzen Holzkasten, der sehr alt zu sein schien. Der Kasten war kaum so lang wie mein Unterarm, und beide Enden waren mit einer dicken Goldschicht beschlagen, in die man eine Reihe von Rubinen eingelassen hatte; jeder dieser Rubine war von einem Ring winziger Perlen
umgeben. Seltsamerweise vermochte ich weder Scharniere noch ein Schloss zu erkennen, und eine genauere Untersuchung ergab, dass es in der Tat auch keinen Deckel oder dergleichen gab. Mehr noch: Das Holz war zerfurcht, doch glatt gerieben von unzähligen Berührungen, und es war schwer und hart wie Eisen.
Ein seltsames Gefühl überkam mich, als ich hier so stand, dieses Stück uralten Holzes in Händen hielt und erkannte, dass ich den heiligsten Schatz diesseits des Himmels gefunden hatte. Ich hatte den Schwarzen Stamm, das Heilige Kreuz gefunden. Mein Herz pochte, und mich überkam das unwiderstehliche Verlangen, niederzuknien und die heilige Reliquie an die Brust zu drücken.
Doch ich fürchtete, entdeckt zu werden, und so drehte ich mich rasch um und ging zum Zelteingang, um mich zu vergewissern, dass alle Diener beschäftigt waren. Der Truchsess beaufsichtigte das Anzünden der Kochfeuer; in der Nähe des Zeltes war niemand zu sehen. Also zog ich mich wieder ins Zelt zurück, kniete nieder, nahm die Reliquie und hielt sie in meinen Händen, wie man ein Neugeborenes hält.
Wie mein Vater vor mir, so hatte auch ich den Schatz eines Lebens achtlos beiseite geworfen in einem arabischen Zelt gefunden. Eine Kriegsbeute, weiter nichts, die für jene, die sie erobert hatten, nur das Gold und die Juwelen wert war, die sie zierten.
All diese Gedanken waren jedoch nur die flüchtigen Gedanken eines Augenblicks. Ich kniete, hielt das heilige Holz in den Händen und erwies ihm mit geschlossenen Augen und einem Dankgebet aufden Lippen meine Verehrung. Es war ein seltsames Gefühl, vom Anblick eines so uralten Holzstücks derart überwältigt zu werden. Es hatte keineswegs etwas Geheimnisvolles an sich, und doch war es ein Geheimnis.
Denn als ich hier, im schwächer werdenden Licht der Abendsonne, das durch den offenen Eingang fiel, auf den Seidenteppichen kniete, spürte ich eine seltsame Gegenwart. Die Luft schien plötzlich von einer schier ungeheuren Macht erfüllt zu sein. Meine Lungen arbeiteten, als versuchten sie, Wasser zu atmen. Meine Hände begannen, unbeherrscht zu zittern. Aus Furcht, die Reliquie fallen zu lassen, legte ich sie vor mir aufden Boden, und um das Zittern aus meinen Händen zu vertreiben, faltete ich sie zum Gebet.
»Ich halte fest an meinem Gott«, betete ich, »und er hält fest an mir. Ich halte fest an Christus, und er hält fest an mir. Ich halte fest am Heiligen Geist, und er hält fest an mir. O Großer König, Herr des Himmels und der Erde, halte fest an mir!«
Ich legte meine zitternden Hände aufdie heilige Reliquie und betete weiter: »Höre deinen Diener, o du, mein Herr: Hier knie ich, bereit, deinen Willen zu tun. Lass diesen heiligen Schatz nicht durch Missachtung der Unwissenden aus dieser Welt verschwinden. Mein Gott und Erlöser, lass ihn mich aus den Händen der Unwürdigen erlösen, die dein Geschenk in ihrem hassenswerten Stolz und ihrer Torheit entweiht haben.«
Der Gedanke, dass die unsauberen Hände Ungläubiger die heilige Reliquie berührt hatten und auch wieder berühren würden, erfüllte mich mit Abscheu. So nahm ich einen der vielen Teppiche, die als Zeltboden dienten, wickelte das Heilige Kreuz, von Gebeten begleitet, hinein und band das Ganze mit einer Kordel zusammen, die ich von einem Weihrauchfass entfernte.
Dann legte ich den Schwarzen Stamm mit aller Ehrfurcht wieder zum Rest der Beute zurück, stand auf und schlich aus dem Zelt. Nachdem ich nun den Gegenstand meiner Suche gefunden hatte, wollte ich nicht unnötig den Verdacht meiner seldschukischen Herrn erregen. Also verließ ich das Zelt, bevor ich entdeckt werden konnte, und kehrte zu meinem Platz am Brunnen zurück.
In jener Nacht schlief ich nicht,
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