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Der Gast des Kalifen

Titel: Der Gast des Kalifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Lawhead
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Federn. Das sei ein Geschenk des Kalifen, sagte er, für meinen Brief.
    Ich war froh, diese Dinge zu haben, und ich bat Sahak, dem Kalifen in meinem Namen für seine Großzügigkeit zu danken. »Er wird dich hinrichten lassen, wie er gesagt hat«, erklärte mir der Katib in traurigem Tonfall. »Das war nicht nur so dahingesagt.«
    Ich erwiderte, dass ich auch nicht den Eindruck gehabt hätte, dass der KalifGefangenen zu drohen pflege, nur um ihnen seine Macht zu beweisen. »Es wird mir Leid tun, dich sterben zu sehen«, sagte Sahak.
    »Warum? Ihr habt mich nie gemocht. Es hat Zeiten gegeben, da Ihr Euch für mich hättet einsetzen können, aber Ihr habt es nicht getan, und ich, der Mann, der Euer Volk vor Bohemunds Heer gerettet hat.« Ich richtete die volle Wucht meines Zorns und meiner Verzweiflung auf ihn. »Du hättest es allein schon aus Mitleid für einen Bruder in Christo tun können, wenn schon aus keinem anderen Grund!«
    Der unglückliche Schreiber ließ den Kopf hängen. »Das ist wahr«, jammerte er. »Aber da ist noch etwas, was du nicht weißt.«
    »Ja?«
    Er zögerte und wischte sich mit dem Ärmel über die feuchten Augen. »Die Brosche.«
    Ich starrte ihn an, und mir wurde übel. »Was ist damit?«
    Unfähig, mir in die Augen zu sehen, senkte er den Kopfnoch tiefer. »Ich habe sie nicht nach Anavarza zurückgeschickt«, murmelte er. Dann überwältigte ihn die Größe seiner Schuld, und er sprang herum und lief davon, bevor ich den Zorn des Himmels auf sein wertloses Haupt herabbeschwören konnte.
    Ich setzte mich und dachte lange und intensiv über das nach, was er mir gesagt hatte. Nachdem der erste Zorn verflogen war, begann ich, meine Lage nüchtern zu überdenken. Am Ende entschied ich, dass es egal war, ob Sahak die Brosche wie versprochen überbrachte oder ob er sie - wie ich vermutete - für sich selbst behielt. Ich wusste, dass sich das Heilige Kreuz unter Ghazis Beute befand, und ich wollte so lange wie möglich in seiner Nähe bleiben. Als Gefangener war mir das möglich, ohne auch nur den Hauch von Verdacht zu erregen.
    Das Todesurteil des Kalifen von Bagdad war natürlich etwas vollkommen anderes, doch was das betraf, konnte ich ohnehin nichts tun. Auch war es mir nicht möglich, meine gegenwärtige Lage zu verbessern, und so gab ich mich damit zufrieden, alles unserem Herrn und Erlöser zu überlassen.
    Zwei Tage vergingen, doch niemand kam mich holen, und auch Sahak erschien nicht in meiner Tür. Ich schrieb meinen Brief und nahm mir die Zeit, über jedes einzelne Wort nachzudenken, bevor ich es niederschrieb, sodass ich es später nicht wieder unleserlich machen musste. Wenn es schon Teil von Gottes ewigem Plan war, dass ich dem Henkersbeil anheim fallen sollte, dann sollte mein letzter Brief zumindest vollkommen sein.
    Den Rest der Zeit wanderte ich in meiner kleinen Zelle auf und ab, und manchmal betete ich, dass wie durch ein Wunder Padraig plötzlich im Verlies erscheinen möge mit einem Beutel voller Silberdinar in der Hand, um meine Freiheit zu erkaufen. »Ich hoffe, du hast dir keine allzu großen Sorgen gemacht«, konnte ich ihn schon sagen hören. »Ich bin ein wenig aufgehalten worden; aber, Gott sei gelobt, ich bin ja noch zur rechten Zeit gekommen. Bevor du dich
    versiehst, bist du hier raus.«
    Unnötig zu sagen, dass Padraig nicht erschien.
    Am Morgen des dritten Tages seit meiner letzten Audienz mit dem Kalifen al-Mutarshid wurde ich von einem Poltern geweckt, das aus dem Wachraum über den Zellen kam: Schritte und das Klirren von Waffen. Zunächst glaubte ich, dort oben tobe ein Kampf; vielleicht hatten die Kreuzfahrer die Stadt aus Rache für Bohemunds Niederlage angegriffen. Dann wurde es plötzlich wieder vollkommen still, und die anderen Gefangenen und ich warteten den ganzen Tag hindurch auf irgendeinen Hinweis auf die Geschehnisse hinter den Gefängnismauern.
    Gegen Abend kehrten die Wachen in den Wachraum zurück, und einer von ihnen brachte uns unsere Tagesrationen an Essen und Wasser. Er verstand uns nicht, ebenso wenig wie wir ihn, und so dauerte es bis zum nächsten Tag, an dem Sahak mich wieder besuchen kam, bis ich erfuhr, dass ein Abgesandter des Kalifen von Kairo eingetroffen sei.
    Damals hielt ich das nicht für ein Ereignis von allzu großer Bedeutung, doch es war wie mit so vielen Dingen im Osten: Bündnisse verlagern sich wie Sand im Wind; Treue kommt und geht wie Ebbe und Flut. Der ruhelose Wind weht durch uralte Reiche, und alte Ordnungen werden

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