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Der Gast des Kalifen

Titel: Der Gast des Kalifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Lawhead
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nötige Autorität besaß, und so versuchte er einen Handel abzuschließen, der ihm am Ende die Herrschaft über An-tiochia sichern würde, nachdem es erst einmal erobert war.
    Aus diesem Grund überhäufte er sowohl seine Lehnsherren als auch seine Vasallen mit Geschenken, um ihnen zu beweisen, dass er die Größe und Freigiebigkeit besaß, derer es bedurfte, um weise und gut zu regieren. Ich erfuhr, dass der Austausch von Geschenken bei den Arabern eine äußerst heikle und gefährliche Angelegenheit ist; denn jedes einzelne Geschenk bringt eine Verpflichtung des Empfängers gegenüber dem Geber mit sich, und das aufunterschiedlichste Art und Weise. Ghazi gab seinen Oberherrn Geschenke, damit diese ihm erlaubten, mit seinen Eroberungsplänen fortzufahren. Demzufolge wurden dem Kalifen al-Mutarshid, der die höchste Macht innehatte, auch die größten Geschenke gemacht.
    Das zufällige Erscheinen des ägyptischen Gesandten fügte ein weiteres Element dem verwirrenden Geflecht aus Macht und Verpflichtungen hinzu, das zu manipulieren sich die Herrscher des Ostens rühmen. Wie es das Schicksal wollte, galt die Feier, die Sahak erwähnt hatte, dem Vorschlag eines Friedensvertrags zwischen Kairo und Bagdad. Erst sehr viel später sollte ich erfahren, dass die beiden mächtigen Kalifate schon seit vielen, vielen Jahren miteinander in Fehde lagen, woran hauptsächlich religiöse Streitigkeiten schuld waren. Der Fall von Jerusalem hatte beiden Seiten ins Bewusstsein gerufen, wie verwundbar sie durch diesen Streit geworden waren, und die Gefahr bestand weiterhin. Der Kalif von Kairo, der vorausschauendere der beiden Herrscher, hatte gleich zu Beginn der Invasion seine große Flotte angeboten, um damit ein vereintes arabisches Heer im Kampfgegen den gemeinsamen Feind zu unterstützen. Gemeinsam, so glaubte der Kalif, könnte es Bagdad und Kairo vielleicht gelingen, den fremden Eindringling wieder zu vertreiben.
    Dieses Angebot war jedoch von dem hochmütigen und stolzen Kalifat Bagdad zurückgewiesen worden, denn es betrachtete sich als Kairo in jeder Hinsicht überlegen. Doch im Laufe der Jahre, während die Kreuzfahrer sich zum Bleiben einrichteten und sich als ständige Bedrohung und Dorn im Fleisch der Araber erwiesen, begann Bagdad Gefallen an der Idee zu finden, sich gegen diesen Feind zu vereinen. Nun, da der Fall von Antiochia unmittelbar bevorstand und somit auch die Rückeroberung Jerusalems nicht mehr fern schien, hatte der junge Kalif al-Mutarshid beschlossen, es sei an der Zeit, Frieden mit Kairo zu schließen. Zu diesem Zweck war der ägyptische Gesandte, der nur zu einem seiner regelmäßigen Besuche nach Damaskus gekommen war, vor den Kalifen gerufen und mit Geschenken überhäuft worden, um dem Friedensangebot Nachdruck zu verleihen.
    Die Araber erfreuen sich schon seit langem an einem geradezu unglaublich kunstvollen Spiel, das zwei Leute aufeinem hölzernen Spielbrett mit geschnitzten Figuren spielen. Einmal beobachtete ich ein solches Spiel, und auch wenn ich nur ein paar der Grundregeln verstand, so schien es doch auf beeindruckende Weise das Wesen der östlichen Denkweise widerzuspiegeln. Obwohl es aufeinem Brett aus mehreren gleich großen Vierecken gespielt wird, die abwechselnd rot und weiß gefärbt sind, so bewegen sich die Figuren doch, wie sie wollen - allerdings innerhalb eines Rahmens, der ihrem jeweiligen Rang entspricht - und für jede Bewegung gibt es eine Gegenbewegung, und jede Macht findet ihr Gegengewicht. Es ist ein
    Spiel der unendlichen Möglichkeiten, und dennoch unterliegt es Regeln, die so unveränderlich sind wie die Berge und der Sonnenaufgang.
    Ich war zu einer der niederen Figuren in diesem Spiel geworden, und als der Gesandte zwei Tage später Damaskus verließ, ging ich mit ihm, begleitet vom ganzen Rest der Beute, die Emir Ghazi errungen hatte und die nun als Zeichen der Versöhnung zwischen den beiden Kalifen nach Kairo gesandt wurde. Nach einem Fünf-TageMarsch von Damaskus an die Küste wurde ich in der Hafenstadt Sidon auf ein großes Schiff der ägyptischen Flotte verfrachtet, und wir segelten Richtung Kairo. Weitere fünfTage später erreichten wir Damiette am breiten, vielfingrigen Delta des Flusses mit Namen Nil.
    Wir ließen die Schiffe in Damiette, einem stinkenden Loch von einer Stadt, und setzten unseren Weg auf einer Barke den breiten, schlammigen Fluss hinunter fort. Ich stand an der niedrigen Reling und beobachtete die schlanken Flussschiffe mit ihren großen,

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