Der Gast des Kalifen
sind unergründlich, nicht wahr?«
»Ja, und die deinen auch, Sahak.«
Als wir schließlich den Rosenpavillon erreichten, wo Atabek Buri seine beiden wichtigen Gäste mit einem frühen Mahl nach dem Morgengebet unterhielt, hatte ich von Sahak im Wesentlichen herausgefunden, was geschehen war, und nun wusste ich, warum man mich gerufen hatte. Den Rest herauszufinden dauerte recht lange, doch durch beharrliches Nachfragen gelang es mir, die verworrene Geschichte der Beziehungen zwischen den beiden mächtigsten Kalifaten des Ostens zu entschlüsseln.
Hier sollte ich wohl kurz innehalten und dir, liebe Cait, die Einzelheiten meiner Audienz beim Atabek und seinen illustren Gästen beschreiben; doch alles in allem betrachtet, verliefsie eigentlich recht bedeutungslos. Die edlen Araber wollten sich lediglich vergewissern, ob ich noch lebte und gesund genug war, um die Reise nach Kairo anzutreten - zusammen mit dem Rest der Beute, die dem Kalifen als Geschenk überbracht werden sollte. Wie du siehst, Cait, lieben es die Araber, egal welcher Art sie auch angehören mögen, einander Geschenke zu machen. Es gehört zu ihren festen Traditionen, und zwar aus den unterschiedlichsten Gründen: Die Wohlhabenden tun es, um ihre Rivalen herabzusetzen, die Verbindung zweier edler Häuser zu verstärken oder um sich der Treue ihrer Untertanen zu versichern; die Armen wiederum tun es, um sich dadurch einen Gefallen von ihren Oberen zu erkaufen, sich einen Vorteil bei einem Handel zu verschaffen oder um ihre Ehre und ihren Gehorsam unter Beweis zu stellen.
Als Teil der Kriegsbeute, die Ghazi Buri gegeben hatte, um sich dessen Unterstützung zu sichern, wurde ich nun vor die muslimischen Herrn geführt. Nachdem diese mich begutachtet hatten, führte mich ein Diener des Abgesandten fort. Ich sollte Sahak, al-Mu-tarshid, Buri, Ghazi und meine Mitgefangenen niemals wiedersehen, und ich erfuhr auch nie den Namen meines neuen Herrn, des Abgesandten. Abermals wurde ich zu einem Handelsgut, mit dem sich andere Gefälligkeiten erkauften - in diesem Fall das Wohlwollen des Kalifen von Kairo.
In den folgenden Tagen wuchs mein Verständnis ebenso wie die Erkenntnis, welch schreckliche Bedeutung die Ereignisse hatten, die Bohemund mit seiner Entscheidung, die Armenier anzugreifen, in Gang gesetzt hatte.
Aufmerksam beobachtete ich meine neuen Herren, und so erhielt ich Einblick in die verwirrenden Angelegenheiten der Araber - einen Einblick, der mir in den kommenden Tagen noch von Nutzen sein sollte. Ich hielt Augen und Ohren offen, sammelte jede noch so unbedeutend erscheinende Information und dachte ausführlich darüber nach. Dies ist, was ich zusammengetragen und herausgefunden habe:
Ghazis Sieg über Bohemunds Heer brachte den Mohammedanern große Erleichterung und ermutigte sie. In einer einzigen Schlacht hatte der Emir der christlichen Macht im Land einen schweren Schlag versetzt und die Hoffnung der Muslime wieder erweckt, dass man die verhassten Franken vielleicht doch noch vertreiben konnte. An-tiochia war nun reif für eine Belagerung und zur Übernahme. Die Templer konnten die Stadt unmöglich allein verteidigen; ohne raschen Nachschub an Männern und Material war das Ende unvermeidlich. Zum ersten Mal seit vielen, vielen Jahren durften die Türken wieder daran denken, diese großartige Stadt einzunehmen. War Antiochia erst einmal unter der Herrschaft der Seldschuken, würde Jerusalem bald folgen.
Gerissen, wie er war, waren natürlich auch dem Emir die Möglichkeiten bewusst, die sich ihm durch seinen Sieg nun boten. An jenem Tag, da er den Hinrichtungen auf dem Schlachtfeld Einhalt geboten hatte, hatte er bereits die Kosten für sein nächstes Unternehmen durchgerechnet: die Belagerung von Antiochia.
In dem Wissen, dass sein Schlag rasch und hart kommen musste, war Emir Ghazi nach Damaskus geeilt, wo seit kurzem auch der Kalifvon Bagdad weilte. Aufdem Weg hatte er sich die Unterstützung jener gesichert, die ihm bei der Aufstellung des Heeres helfen konnten, welches er für seinen Plan benötigte. Eine Belagerung ist eine ausgesprochen langwierige und kostspielige Angelegenheit, und Gha-zi bedurfte der Hilfe anderer, um eine Stadt wie Antiochia einnehmen zu können. Außerdem brauchte er die Zustimmung von Mächtigeren - nicht nur für seinen militärischen Plan, sondern auch für seine weiter reichenden Ziele. Und hier zeigte sich wieder, welch scharfen Verstand der Emir besaß: Ihm war durchaus bewusst, dass er selbst nicht die
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