Der Gast des Kalifen
ermahnen.
Zwei weitere mächtige Schläge ließen die Wände des Schatzhauses erzittern, bevor ich den Boden des Haufens erreichte und das nur, um abermals mit leeren Händen dazustehen. Meine Enttäuschung wurde lediglich von dem Gedanken gemildert, dass nur noch ein Haufen übrig war, und dort musste der Kreuzesstamm ja sein.
Inzwischen brannte auch der Kasten, der den Kopf enthielt und war zu heiß, um ihn noch anzufassen; also schob ich ihn mit dem Fuß zum nächsten Haufen und watete dabei durch die unzähligen Wertsachen, die ich überall verstreut hatte.
Krach! Die Tür in der Hauptgalerie splitterte und stöhnte.
»Beeilt Euch!«, schrie Wazim. Er stand in der Tür der Kammer. »Sie haben ein Loch in die Tür geschlagen. Ich kann sie schon sehen.«
»Hier rüber!«, riefich. »Es muss irgendwo in diesem Haufen sein. Hilf mir beim Suchen.«
Wazim eilte an meine Seite, und gemeinsam pflügten wir durch die Schätze. Achtlos warf ich selbst die wertvollsten Gegenstände einfach irgendwohin. Ich warf mit Juwelen besetzte Dolche beiseite, edle Bögen und Köcher mit goldenen Pfeilen, und Silberschüsseln und -pokale rollten über den Boden. Und dann fand ich ihn: den Teppich, in den ich das Heilige Kreuz gewickelt hatte. Sofort stürzte ich mich darauf und zog ihn zu mir heran.
Doch im selben Augenblick, da meine Hand den Teppich berührte, wusste ich, dass ich enttäuscht werden würde. Die Teppichrolle war leer. Der Schwarze Stamm war verschwunden. Unter dem Teppich sah ich eines der mit Edelsteinen besetzten Goldbänder, die die Enden des Kreuzes geziert hatten. Das andere Band lag daneben, platt getreten von den ungeschickten Füßen eines Trägers. Mein armes Herz drohte vor Verzweiflung zu zerreißen. Ich beugte mich vor und hob das zerstampfte Band auf. Dort, im nachlassenden Licht von Bohemunds brennendem Schädel, traten mir die Tränen in die Augen; das Gefühl, versagt zu haben, war überwältigend.
Meine ganze Gefangenschaft über hatte ich die Hoffnung gehegt, irgendwie die heilige Reliquie zu retten - egal wie gering die Aussicht darauf auch gewesen sein mochte. Aber nun war der Schwarze Stamm verschwunden!
»Da'ounk?«, fragte Wazim. »Stimmt was nicht?«
»Es ist verschwunden«, antwortete ich und ließ das Goldband fallen. »Wir sind fertig.«
Aus der Hauptgalerie hallte zum letzten Mal ein lautes Krachen zu uns herüber, und wieder hörten wir deutlich Holz splittern. Die Diebe aufder anderen Seite jubelten. In diesem Augenblick verlosch das Feuer von Bohemunds Kopf; der Kasten fiel zu glühenden Stük-ken zusammen, und der Schädel rollte über den Boden. Er starrte mich aus leeren Augen an, und sein fleischloser Mund grinste spöttisch. Einen Augenblick lang glühte der verbrannte Knochen rot; dann war auch das verschwunden.
Wazim sprach mich erneut an. Ich antwortete nicht.
Es gab auch nichts zu sagen. Die Soldaten würden jeden Augenblick über uns sein, und das wäre das Ende.
Ich hörte Wazim sich in der Dunkelheit bewegen und spürte eine Berührung auf meinem Arm. Ich glaubte, er wolle mich zum Aufbruch drängen. »Es tut mir Leid, Wazim«, sagte ich. »Es war alles umsonst.«
Draußen in der Hauptgalerie gab der letzte Rest der Tür endlich nach, und mit lautem Triumphgeheul stürmten die Templer in das Schatzhaus.
ch stand in der Dunkelheit und lauschte den Rufen und dem i\J Heulen der Templer und der Fedai'in, die durch die Gänge und Kammern des Schatzhauses hallten, und ich sah das Licht ihrer Fak-keln auf den Wänden tanzen. Ein Geisterheer schien aus der Anderwelt in das Schatzhaus des Kalifen eingedrungen zu sein, um es auszuplündern.
Und sie würden bekommen, was sie wollten. Niemand konnte sie aufhalten. Templer und Fedai'in gemeinsam, dachte ich. An was für einem unheiligen Tag ist dieses Bündnis geschmiedet worden?
Ich lauschte den eiligen Schritten, als die Diebe zu ihrer Beute rannten ... ein Rennen, das zu gewinnen ich gehofft hatte.
Ich hatte versagt. Das war eine Wahrheit, die umso schlimmer war, da ich geglaubt hatte, Gott sei mit mir und würde mich bei jedem meiner Schritte führen. Ich hatte geglaubt, dass all die Prüfungen, die ich hatte ertragen müssen, einem Zweck dienten, dass meine Leiden einen Sinn hatten.
Aber das war alles eine Lüge. Das wusste ich jetzt, und dieses Wissen ließ mein Herz sich winden wie eine Schlange im Feuer. Ich hätte weinen können, wäre da nicht diese unbändige Wut in meinem Leib gewesen.
Wazim flüsterte
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