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Der Gast des Kalifen

Titel: Der Gast des Kalifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Lawhead
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erneut meinen Namen und riss mich auf diese Art sanft aus meinen düsteren Gedanken. »Schaut!«, flüsterte er mit ehrfurchtsvoller Stimme. »Ein heiliger Vater ist hier!«
    Ich drehte mich zu ihm um und sah ein schwaches goldenes Schimmern auf einer der Steinsäulen hinter uns. Es verschwand, bevor ich seine Quelle entdecken konnte. Doch ging ich auf die Säule zu und erkannte, dass sie vor einem der Alkoven stand, die ich vor weni-
    gen Augenblicken durchsucht hatte. Das Licht schien aus dem Inneren des kleinen, engen Raums zu kommen.
    Rasch trat ich hinein und sah einen ganz in Weiß gewandeten Mann mit einer Fackel in der Hand. Sein Gewand war das eines Kirchenmannes - ein Priester eines östlichen Ordens, glaubte ich -, und seine Haltung war edel und demütig zugleich wie die eines hoch geachteten Patriarchen. Ich verstand sofort, warum Wazim ihn einen Vater genannt hatte. Doch in Gesicht und Gestalt war er noch immer jung, Haar und Bart schwarz und der Blick seiner Augen scharf und klar.
    Er winkte mich zu sich, doch erstaunt, wie ich war, rührte ich mich nicht vom Fleck. Denn obwohl er eine Fackel in der Hand hielt, war nicht sie es, die das Licht verbreitete, sondern seine Gestalt, sein Wesen.
    Er hob die Hand, winkte mir erneut und sagte: »Komm schnell, Duncan. Die Zeit läuft uns davon.«
    Bei der Erwähnung meines Namens trat ich einen oder zwei Schritte vor. »Wer seid Ihr, Herr, dass Ihr meinen Namen kennt?«
    »Duncan«, erwiderte der Priester mit mildem Tadel in der Stimme. »Kennt der Herr seine Diener nicht? Wie könnte ich jemanden vergessen, der mir stets so gut gedient hat?«
    »Der Weiße Priester«, flüsterte ich. Wazim Kadi sank neben mir auf die Knie, senkte den Kopf und schloss die Augen.
    »Nenn mich Bruder Andreas«, entgegnete der Priester leichthin. »So wie ich einst deinen Vater gefragt habe, so frage ich jetzt dich: Was willst du?«
    Die Frage kam mir seltsam vor. Mit Soldaten hinter uns, die plündernd durch die Hauptgalerie zogen, welchen Unterschied machte es da, was ich wollte oder nicht? Seltsam war auch, dass die Frage die Erinnerung an den kühlen Wind Schottlands in mir weckte, und vor meinem geistigen Auge sah ich die dunklen Wellen der Nordsee an die Felsenküste von Caithness schlagen; auf der hohen Landspitze, die weit ins Meer hinausragte, standen zwei Gestalten: die eine groß und hager, die andere klein, engelsgleich, und ihr lan-
    ges Haar flatterte im Wind - Murdo, mein Vater, mit der kleinen Caitriona an der Seite -, und gemeinsam blickten sie auf die stürmische See hinaus und suchten sie ab.
    In diesem Augenblick wünschte ich mir nichts sehnlicher, als in ebendiese Bucht zu segeln und meine Leute in die Arme zu schließen. »Ich will wieder nach Hause«, murmelte ich und spürte, wie mir die Tränen in die Augen traten.
    »Das hat auch dein Vater gewollt«, erwiderte der Priester; »er war jedoch zu stolz und wollte es nicht zugeben.«
    »Vielleicht war er aus härterem Holz geschnitzt als sein unglücklicher Sohn.«
    »Warum unglücklich?«, fragte der geheimnisvolle Mönch. »Du trägst das Heilige Licht in dir, um dich auf dem Wahren Weg zu führen. Um das zu lernen, was du bereits weißt, hat Murdo teuer bezahlt.«
    Ein Ruf ertönte in der Tür der Kammer hinter uns. Wazim, der noch immer mit gefalteten Händen neben mir kniete und inbrünstige Gebete murmelte, sprang auf, drehte sich um und rannte zum Eingang des Alkovens.
    »Ich weiß gar nichts«, erklärte ich und fühlte erneut die ganze Last meines Versagens. »Und wenn Ihr uns nicht helfen könnt, werde ich ohnehin keinen Sonnenaufgang in diesem Land mehr erleben.«
    »O du kleingläubiger Mann. Ich werde dir das Gleiche sagen, was ich deinem Vater bei unserem ersten Treffen gesagt habe.«
    »Was war das?«
    »Hab Mut. Du bist deinem Ziel näher, als du glaubst.«
    In diesem Augenblick flüsterte Wazim drängend von der Tür: »Da'ounk! Sie kommen hierher!«
    Ich blickte zu Wazim, als er sprach, und gleichzeitig verblasste das Licht in dem Alkoven. »Was ist, wenn.?«, begann ich und drehte mich wieder zu dem Weißen Priester um. Er war verschwunden, und wo er gestanden hatte, war nur noch ein schwaches Glühen zu sehen. Aber in diesem schwachen Licht sah ich, dass er Recht hatte.
    »Was sollen wir jetzt tun?«, krächzte Wazim verzweifelt. »Sie sind fast hier!«
    »Ruhig, Wazim«, flüsterte ich. »Komm weg da.« Ich packte ihn am Arm und zog ihn vom Eingang fort. »Bruder Andreas hat uns zum

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