Der Gast des Kalifen
tragen.«
Der freundliche Kirchenmann blickte mich an und seufzte. »Du ähnelst sehr einem anderen jungen Mann, den ich einst kannte«, sagte er. »Stur wie ein Fels.«
»Wenn du nach dem Grund für all den Ärger suchst«, erklärte ich ihm, »dann suchst du ihn am falschen Ort. Der Fehler liegt nicht bei mir, sondern bei meinem Herrn und Vater.«
»Komm«, forderte mich Emlyn auf und winkte mich an seine Seite. »Geh ein Stück mit mir.«
Ich verspürte das Verlangen, mich ihm zu widersetzen. »Ich habe zu tun«, erklärte ich.
»Komm mit mir, Duncan.« Emlyn war sanft, aber hartnäckig. »Der Fisch kann warten.«
Wer kann dem guten Abt schon widerstehen? Schon bald fand ich mich an seiner Seite. Wir gingen durch den Hof hinaus in Richtung Pier. Bald erreichten wir den Pfad zum Meer, dem wir an einem Feld entlang folgten, wo einige Pächter Disteln schnitten. Der Wind kam aus dem Norden, und ich roch einen Hauch von Salz in der klaren, frischen Luft - ein Vorbote kühlen, schönen Wetters.
Schließlich erreichten wir den von Kieseln übersäten Strand und wanderten eine Zeit lang an ihm entlang. Winzige weiße Krabben huschten zwischen dem verrotteten Seetang an der Flutgrenze umher und verschwanden, sobald wir näher kamen. Schließlich atmete der Abt tief durch und sagte: »Ich bin beunruhigt, Duncan.«
Ich glaubte zu wissen, was als Nächstes kommen würde. Ich wartete auf den unvermeidlichen Tadel und bereitete mich darauf vor, mich gegen die ungerechtfertigten Vorwürfe zur Wehr zu setzen.
»Murdo ist nicht mehr er selbst.«
Das überraschte mich so sehr, dass ich mitten im Schritt stehen blieb und mich zu Emlyn umdrehte. »Was?«
»Dein Vater und ich sind nun schon seit vielen Jahren miteinander befreundet, aber ich habe ihn noch nie so reizbar und schlecht gelaunt erlebt.«
»Ich auch nicht.«
»Bei meinem Leben, ich weiß nicht, warum er auf einmal so unangenehm geworden ist.«
»Und launisch.«
»Ja«, stimmte mir der Abt zu. »Normalerweise ist Herr Murdo der ruhigste und unerschütterlichste Mann, den ich kenne. Es schmerzt mich, zusehen zu müssen, wie er Tag für Tag unglücklicher wird.« Er blickte mich an und runzelte besorgt die Stirn. »Wovor, glaubst du, hat er Angst?«
»Wie kommst du auf Angst?«, erwiderte ich. »Ich wüsste nicht, dass mein Vater je vor etwas Angst gehabt hätte. Ich glaube, er ist einfach nur ein wenig bequem geworden, und daher missfällt es ihm, wenn jemand eine andere Meinung vertritt als er.«
Emlyn schüttelte sanft den Kopf. »Du weißt, dass das nicht stimmt.«
»Vermutlich nicht«, räumte ich ein; »aber warum sagst du, dass er Angst hat?«
»Wenn du tief genug blickst, wirst du feststellen, dass Furcht der Grund für die meisten unserer Sünden und Fehler ist.«
»Er hat Angst, dass ich ins Heilige Land gehen könnte.«
Ich wollte das nicht sagen; doch die Worte waren mir über die Lippen gekommen, noch bevor ich Gelegenheit gehabt hatte, darüber nachzudenken. Aber wie auch immer, im selben Augenblick, da ich sie hörte, wusste ich, dass sie der Wahrheit entsprachen.
Emlyn widersprach mir nicht. »Warum, glaubst du, sollte er sich davor fürchten?«
»Weil«, begann ich langsam, »er glaubt, ich könnte wie Torf-Ein-ar werden und meiner Familie und meinem Geburtsrecht den Rücken zukehren.«
»Vielleicht hat es wirklich etwas damit zu tun«, erwiderte der Kirchenmann. Wir setzten uns wieder in Bewegung. Eine sanfte Brise trieb die Wellen ans Ufer, und ihr Plätschern erfüllte die Luft.
»Dein Vater spricht nie über die Große Pilgerfahrt«, fuhr Emlyn nach einer Weile fort.
»Nein, das tut er nicht.«
»Deinem Vater hat die Große Pilgerfahrt nur unendliches Leid gebracht . wie so vielen anderen auch. Durch sie hat Murdo fast alles verloren, was er im Leben geliebt hat. Seit seiner Rückkehr arbeitet er hart daran, diesen Verlust zu ersetzen, und das ist ihm auch bemerkenswert gut gelungen.«
»Torf-Einars Erscheinen hat ihn daran erinnert«, sinnierte ich.
»Mehr als das«, versicherte mir der Abt. »Wäre Torf-Einar nicht zurückgekehrt, wäre die Vergangenheit vielleicht nur eine Erinnerung geblieben, wenn auch eine schmerzliche.«
Ich begann zu verstehen, was er mir sagen wollte. »Murdo hat Angst, auch mich zu verlieren, wenn ich ins Heilige Land gehe.«
»Alles in allem betrachtet, ist das auch keine unbegründete Furcht.« Emlyn sah mich an, doch ich hielt meinen Blick stur geradeaus gerichtet. Ich wollte ihm nicht in die
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