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Der Gast des Kalifen

Titel: Der Gast des Kalifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Lawhead
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reden.
    >Da'ounk< nennt mich mein kleiner Wärter, denn seine Sarazenenzunge ist nicht in der Lage, meinen Namen richtig auszusprechen. Und das Wort >Stunde< ist eines, das die arabischen Stämme gerne gebrauchen, besonders die Ägypter; seine Bedeutung ist schwer zu erklären, doch wenn du den Tag von Sonnenauf- bis -untergang viertelst und diese Viertel dann durch drei teilst, hast du den Tag in zwölf gleiche Teile zerlegt. Jeden dieser zwölf Teile nennt man eine >Stunde<. Dementsprechend gibt es auch zwölf Stunden Dunkelheit, und alle haben sie verschiedene Namen, die ich jedoch nicht kenne. Mehr noch: Die arabischen Philosophen haben mehrere Methoden entwickelt, diese Stunden den Tag über zu zählen; sie beschäftigen sich sehr viel damit, doch ist mir der Grund dafür unbekannt.
    Was Wazim mit seinen Worten hatte sagen wollen, war natürlich, dass meine Zeit gekommen sei. Die Männer, die ihn begleiteten, trugen das kühne Rot und Gelb der Palastwache - gelbe Wamse und Hosen mit kurzen roten, offenen Hemden -, dazu große Turbane oder genauer: Kriegshelme, die auf die komplizierteste Art mit langen Stoffstreifen umwickelt sind. In ihren um die Hüften gewickelten Tüchern, die den Arabern als Gürtel dienen, steckten die typischen krummen Schwerter der Sarazenen. Auch trugen sie lange Spieße mit breiten Klingen und geschwungene Dolche in Scheiden mit eingesetzten Juwelen, die an dicken Goldketten um ihre Hälse hingen.
    Wazim verbeugte sich tief, als ich mich erhob und vortrat. Ich hatte schon lange beschlossen, nicht mit den Arabern zu debattieren oder zu versuchen, meine Taten auf irgendeine Art zu rechtfertigen. Stattdessen gedachte ich auf unseren Herrn zu vertrauen und mich frohen Mutes meinem Schicksal zu stellen. Da ich somit ruhig und selbstbeherrscht blieb, legten die Wachen keine Hand an mich, und man gestattete mir, aufrecht dem Kalifen gegenüberzutreten.
    Ich wurde in einen Teil des Palastes geführt, in dem ich noch nie zuvor gewesen war. Hier waren die Gänge breiter und die Räume prächtiger als alle, die ich bisher zu Gesicht bekommen hatte. Überall glitzerte Gold inmitten der allgegenwärtigen Ornamente, sei es an Möbeln, an den Stoffen, die Wände und Boden bedeckten, oder an den Mauern selbst. Die Dachbalken bestanden aus poliertem Zedernholz und die riesigen Türen aus einem dunklen, harten Holz, das man Ebenholz nennt, glänzend wie polierte Kohle.
    Der Thronsaal war größer als jede Festhalle im Westen. Wazim hatte mir einst erzählt, dass bei der Geburt des vorherigen Kalifen fünfzig Reiter in diesem Saal ein Kampfspiel aufgeführt hatten, um die Dutzenden von Menschen zu unterhalten, die sich hier zur Geburt des Thronfolgers versammelt hatten. Ich glaube ihm, denn es war in der Tat ein riesiger Saal. In der Mitte, unter einer echten Palme, vor der man einen zeltartigen Baldachin aufgebaut hatte, stand der goldene Thron von Kairo. Und auf diesem Thron, mit Augen so hart und schwarz wie Feuerstein, saß al-Hafiz der Prächtige höchstpersönlich und blickte mich an.
    Von unzähligen Dienern, Ratgebern, Schreibern und anderen Höflingen umgeben - die zumeist auf dicken Kissen saßen, welche man auf dem Marmorboden ausgelegt hatte - erschien mir der Kalif von Kairo weit kleiner, als ich erwartet hatte. Er war von dunkelbraunem Teint und hatte überdies etwas an sich, was darauf hindeutete, dass er einen Großteil seiner Jugend unter der sengenden Wüstensonne verbracht hatte. Seine Haut war faltig wie abgenutztes Leder und sein Haar dick und vollkommen grau. Wie viele heilige Männer, so trug auch er einen langen Bart, der zu zwei Zöpfen geflochten war, welche man wiederum irgendwie an seinem Turban befestigt hatte. Doch abgesehen von diesem Turban, der strahlend weiß und mit einem riesigen blutroten Rubin verziert war, aus dem Pfauenfedern herausragten, war der Kalif wie ein einfacher Händler oder Bauer gekleidet. Seine Gewänder waren makellos und von edler Machart, doch schlicht, ja geradezu bescheiden.
    Er saß auf einem breiten Kissen auf seinem Thron und hatte die Beine untergeschlagen, wie es die Araber in ihren Zelten in der Wüste tun. Er runzelte die Stirn, als er mich sah, und ich wusste, dass mein Schicksal besiegelt war.
    Dennoch verneigte ich mich so tief, wie Wazim es mir gezeigt hatte, und sprach zum Gruß die wenigen arabischen Worte, die mir mein treuer Wächter beigebracht hatte. »Ehrwürdiger Kalif«, sagte ich, »möge der Eine Gott, der alles erschaffen

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