Der Gast des Kalifen
noch nicht einmal denken, worauf er hinauswollte. »Nun da sie es erwähnen. Es ist schon so lange her, dass mir das zum letzten Mal jemand vorgeworfen hat, dass ich mich kaum noch daran erinnere.« Ich lächelte.
»Auch Geschichte war Teil Ihrer Studien. Ist das korrekt?«
»Ich hoffe, Sie haben nicht allzu viel Zeit darauf verschwendet, sich darüber zu informieren. Ich fürchte, meine Leistungen als Akademiker sind nicht gerade herausragend.«
Zaccaria lächelte, widersprach mir aber nicht. »Zumindest haben Sie eine gewisse Neigung zur Antike gezeigt, wie man sie heute nur selten findet. Das ist ausgesprochen lobenswert.«
»Sie haben mit Sicherheit auch Latein studiert«, sagte Pemberton. »Hat es Ihnen gefallen?«
»Auf gewisse Weise ja. Mein Tutor war ein trockener, alter Mann, steif wie ein Stock und zudem meist in Gedanken woanders. Man kann ihm jedoch nicht alle Schuld geben; hätte ich auch nur ein Mindestmaß an Wissbegierde gezeigt, hätte ich vielleicht bessere Ergebnisse erzielt. Trotzdem: Vergil, Cicero und Julius Cäsar haben mich durch dick und dünn begleitet. Auch bietet sich mir jetzt, in meinem Beruf als Anwalt, bisweilen die Gelegenheit, das eine oder andere Zitat gewinnbringend einzusetzen.«
»Wie steht es mit Griechisch?«
»Das? Nein«, erwiderte ich. »In Griechisch war ich noch nie sonderlich gut. Ich habe den Versuch, es zu lernen, frühzeitig abgebrochen. Euripides hätte mich fast zur Verzweiflung gebracht. Ich kam geradeso damit zurecht; das war's dann aber auch schon.«
»Das habe ich mir schon gedacht«, bemerkte Zaccaria; er machte ein Geräusch, als hätte er soeben einen lange gehegten Groll gegen meine Familie bestätigt gefunden.
»Dann werden wir genau dort beginnen«, sagte Pemberton. Er trank den letzten Rest Brandy und stellte das Glas beiseite. »Wir halten die Zeit für gekommen, Sie ein wenig besser mit ihrem Erbe vertraut zu machen.«
»Mit meinem griechischen Erbe?«, fragte ich. »Es war mir nicht bewusst, dass ich eine solche Abstammung habe.«
»Oh, Sie wären überrascht«, erwiderte Pemberton und lächelte. »Schütteln Sie einen Familienstammbaum nur kräftig genug durch, und Sie wissen nie, was herunterfällt.«
»Ich denke, es wäre passender, von Ihrem Griechisch sprechenden Erbe zu reden«, bemerkte Zaccaria.
»Sie sehen mich fasziniert«, sagte ich. »Bitte, fahren Sie fort.«
»Die griechischen Inseln sind bezaubernd. Waren Sie jemals dort?«
»Nur an der Seite Homers.«
»Das ist eine hervorragende Einführung; aber ich muss sagen, noch nicht einmal die homerischen Dichtungen können sich auch nur annähernd mit der Wirklichkeit messen.«
Mit ernster Miene beugte sich Pemberton vor. »Wir haben eine Herausforderung für Sie, Gordon. Möchten Sie sie hören?«
»Ich bitte darum.« Ich stellte mein Glas beiseite und widmete Pemberton meine volle Aufmerksamkeit. Ich glaubte, dieser beispiellose Besuch stehe in engem Zusammenhang mit der neuen Ordnung, die der Innere Kreis erwartete, und da ich mir der Ernsthaftigkeit unserer Bemühungen durchaus bewusst war, versuchte ich mich, so gut es ging, auf das einzustellen, was man nun von mir verlangen würde.
»Wir wollen, dass Sie Griechisch lernen.«
»Griechisch!« Der Vorschlag ließ mich lauthals auflachen. Angesichts der wachsenden Gefahren, die uns bedrohten, hatte ich erwartet, dass man mir ein etwas nobleres, herausforderndes Unterfangen antragen würde. »Was auch immer. Glauben Sie, ich bin dieser Herausforderung gewachsen?« »Ich denke, Sie sind ihr mehr als gewachsen«, versicherte mir Zaccaria in feierlichem Tonfall.
»Darf ich fragen, warum Sie von mir wollen, dass ich Griechisch lerne?«
»Das braucht Sie im Augenblick nicht zu interessieren«, antwortete Pemberton und schob die Frage beiseite. »Lassen Sie uns einfach sagen, dass sich vor kurzem eine Gelegenheit ergeben hat, von der wir erwarten, dass Sie sie zur Gänze ausschöpfen. Um das zu tun, benötigen Sie jedoch ausreichende Kenntnisse der griechischen Sprache - sowohl der antiken als auch der modernen.«
Ich blickte von einem zum anderen. Meine beiden Besucher meinten es offenbar ernst. Pemberton betrachtete mich sogar mit solcher Intensität, dass ich zu vermuten begann, es stecke weit mehr hinter diesem Vorschlag, als man mir bis jetzt gesagt hatte. Doch der einzige Weg, das herauszufinden, bestand wohl darin, dass ich mich der Herausforderung stellte. Außerdem hatte ich nicht die Absicht, ausgerechnet meinen
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