Der Gast: Roman
Helligkeit aus«, sagte Marta.
Neal sah zu den Glastüren der Videothek, dem Weg davor, dem Rückgabeschlitz und der runden Mülltonne aus Beton, in der das Geld deponiert werden sollte. Aus den Fenstern des Ladens fiel Licht. Ein grelleres Licht schien von den Straßenlaternen herab, die den Parkplatz umringten.
»Es ist ziemlich hell«, sagte Neal.
Marta hob die Kamera ans Auge. »Sieht gut aus«, sagte sie. Es summte, als sie heranzoomte. »Ja. Das wird gut.«
»Falls überhaupt jemand kommt«, sagte Sue.
»Wie spät ist es?«, fragte Neal.
»Zwölf Uhr fünfunddreißig.«
»Ich glaube nicht, dass wir lange warten müssen. Zumindest nicht auf Vince. Er wollte frühzeitig hier sein.«
»Das Letzte, was er will«, sagte Marta, »ist, Glitt von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen.«
Sue kicherte. »Jetzt, wo er die Kohle nicht hat.«
» Falls er die Kohle nicht hat«, sagte Neal.
»Er kann keine weitere halbe Million zusammengekratzt haben«, sagte Marta. »Nicht so schnell.«
»Möglich ist alles.«
»Sie könnte schon da sein«, sagte Sue.
»Wer?«, fragte Neal.
»Die Tüte. Was immer auch drin ist. Vince könnte hier gewesen und schon wieder gegangen sein.«
»Oder vielleicht kommt er auch gar nicht«, meinte Marta.
Sue stieß ihre Tür auf. »Bin gleich zurück.« Sie sprang aus dem Wagen.
»Was hast du vor?«, fragte Marta.
»Ich guck im Müll nach«, sagte sie und lief los.
»Nein!«, rief Neal. »Komm zurück.«
Mitten auf der Straße warf Sue ihnen über die Schulter ein Grinsen zu. »Keine Sorge. Ich werf nur mal einen Blick rein.« Sie drehte sich nach vorn und rannte schneller, die nackten Füße schritten weit aus, der Rock flog hoch und wirbelte um ihre Schenkel.
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»Sieh sie dir an«, sagte Marta. Sie klang beeindruckt.
»So was Dämliches.« Neal konnte den Blick nicht von Sue abwenden. Sie flog geradezu – sie hatte bereits die Ecke des Gebäudes erreicht und rannte den Bürgersteig entlang. »Wenn Vince jetzt kommt …«
»Das wäre eine Überraschung für ihn.«
»Das kann man wohl sagen.«
»Aber es ist noch früh«, sagte Marta.
Neal stellte sich plötzlich vor, wie eines der Autos auf dem Parkplatz brüllend ansprang und auf Sue zuraste. Es erfasste sie. Riss sie von den Beinen. Faltete sie in der Mitte zusammen. Mit Sue auf der Motorhaube raste es durch die Glasscheibe in den Laden.
Doch bis jetzt rührten sich die Autos nicht.
Sue blieb vor der Mülltonne stehen. Sie legte die Hände auf den Deckel, beugte sich vor und näherte sich mit dem Gesicht dem Loch.
Nach einem Augenblick richtete sie sich wieder auf.
Sie drehte sich um und ließ den Blick über den Parkplatz schweifen.
»Wonach sieht sie sich um?«, fragte Marta mit besorgter Stimme.
»Ich weiß nicht.«
»Vielleicht hat sie etwas gehört.«
»Ich habe nichts gesehen«, sagte Neal.
Er griff in die Tasche, zog langsam die Sig Sauer heraus und legte sie sich auf den Oberschenkel.
Sue beugte sich wieder vor und spähte in die Tonne.
»Sie braucht verdammt lange«, murmelte Marta. »Ich würde am liebsten hupen.«
»Nicht«, sagte Neal.
Sie lachte leise. »Ich würde gern. Aber ich tu es nicht.«
»Ich möchte ihr am liebsten den Hintern versohlen.«
Marta drehte sich zu ihm um und sagte: »Wir können uns abwechseln.«
»Die beschissene Tüte ist entweder da drin oder nicht. Wenn Vince auftaucht, während sie …«
Er unterbrach sich, als Sue sich ein wenig zur Seite drehte und mit dem Arm ins Loch langte.
»Sie greift nach etwas«, flüsterte Marta.
Mit abgewandtem Gesicht fischte Sue immer tiefer in der Tonne herum.
Am anderen Ende des Parkplatzes bog ein Paar Scheinwerfer von der Straße ab.
»Scheiße!«, keuchte Neal.
Da hinten gab es einen Burger Boy. Einen Moment lang hoffte Neal, der Wagen würde in die Drive-in-Spur fahren. Doch dann erinnerte er sich, dass der Imbiss nach Mitternacht nicht mehr geöffnet hatte, seit dort vor einem Monat der Junge erschossen worden war.
Das Auto fuhr geradewegs auf den Parkplatz von Video City.
Und raste auf Sue zu.
Neals Magen verkrampfte sich.
Er umklammerte die Automatik und sprang aus dem Jeep.
»Sei vorsichtig!«, rief Marta.
Als er auf die Straße lief, sah er Sue im grellen Scheinwerferlicht des sich nähernden Wagens schnell den Arm aus der Mülltonne ziehen. In ihrer Hand hielt sie eine weiße Tüte. Sie drehte sich blinzelnd zum Auto.
Das Licht schwenkte an ihr vorbei. Der Wagen bremste ab. Er blieb mit der Stoßstange
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