Der Gast: Roman
auftauchte, sah sie Neal an. »Ich weiß, was dir im Kopf herumgeht.«
»Wahrscheinlich«, gab er zu.
»Du hast Angst, dass einer von uns etwas passiert.«
»Stimmt. Ihr kennt Glitt nicht. Er … was er mit euch anstellen würde …«
»Du glaubst also, wir wären besser dran – sicherer vor Glitt –, wenn du mitten in der Nacht ohne uns unterwegs bist? Wenn wir allein und unbewaffnet sind?«
»Er weiß nicht, dass ihr hier seid«, sagte Neal.
»Woher willst du das wissen?«
»Ich bin mir nicht sicher, aber …«
»Wollte Glitt heute Nacht nicht noch einmal in deine Wohnung kommen?«
»Ja.«
»Hast du dort irgendwo meine Adresse aufgeschrieben?«
»Ja, aber …«
»Und du willst uns immer noch ein paar Stunden hier allein lassen, ohne die Pistole?«
Neal verzog das Gesicht.
»Wenn du gehst«, sagte Marta, »gehen wir auch.«
»Gleiches Recht für alle«, fügte Sue hinzu.
»Abgesehen davon«, sagte Marta, »könnte es auch sein, dass du uns brauchst. Falls du wirklich eine Reise mit dem Armband unternimmst, sollten wir im Auto auf deinen Körper aufpassen.«
»Wir sind deine Leibwächter«, sagte Sue. Sie stand in ihrem Faltenrock neben dem Bett und ließ den Pullover neben ihrem Bein kreisen. Ihre Hüften schaukelten leicht. Der Rock schwang hin und her und strich über ihre Oberschenkel.
Sie sah aus wie ein Cheerleader, der Cowgirl spielt.
Und Neal wusste mit einem Mal, dass er nirgendwo ohne sie hingehen wollte.
Ohne sie und Marta.
»Wir passen auf, dass es dir gut geht«, sagte Marta, »während du in Glitts Kopf weiß Gott wohin fährst.«
»Und wer passt auf euch auf?«, fragte Neal.
»Bei der leisesten Gefahr«, sagte Marta, »fahren wir weg.«
»Außerdem«, meinte Sue, »haben wir deine Pistole. Auf der Armbandreise kannst du sie nicht mitnehmen.«
»Uns wird im Auto nichts passieren«, sagte Marta.
Neal sah von Sue zu Marta. Sie hatten beide die Brauen hochgezogen und grinsten verschwörerisch. Sie wussten, dass sie gewonnen hatten.
Er vermutete, dass sie immer gewinnen würden.
Zwei gegen einen.
Das Bi-Sie gegen mich.
Es könnte schlimmer sein, fand er.
Lieber Gott, bitte lass nicht zu, dass ihnen etwas zustößt.
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Neal wusste, er hätte dafür sorgen sollen, dass sie zu Hause blieben. Doch andererseits war er froh, sie bei sich zu haben. Es war ein schönes Gefühl, auf dem Rücksitz zu sitzen, während die beiden vorn im Jeep waren, so nah, dass er sie hätte berühren können, und ihr Haar im Wind wehte.
Marta saß am Steuer. Sie und Sue sahen sich gelegentlich an und sagten etwas zueinander, das Neal nicht verstehen konnte.
Wenn ihnen irgendetwas zustößt …
Er fragte sich, ob er sie in Gefahr brachte, indem er sie mitkommen ließ. Oder wäre das Risiko größer gewesen, wenn sie zu Hause geblieben wären?
So sind wir wenigstens zusammen, dachte er. Ich bin da, um sie zu beschützen.
Das ist wohl eher eine Rechtfertigung als ein Grund, überlegte er. Der wahre Grund war ein egoistischer: Er wollte sie bei sich haben. Zum einen, weil er tief im Inneren Angst hatte, zu dieser Uhrzeit allein auf eine solche Mission zu gehen. Aber vor allem, weil er – zumindest im Moment – das Gefühl hatte, es wäre zu schmerzlich, sich von ihnen zu trennen.
Aber ich bringe sie zu Glitt. Er hätte uns vielleicht nie gefunden, und jetzt fahren wir zu ihm.
Plötzlich erschien ihm der Irrsinn so offensichtlich, dass er sich vorstellte, wie er sich nach vorn zwischen die Sitze beugte und sagte: »Dreh um. Wir fahren nach Hause.«
Er wollte es tun.
Doch er konnte nicht.
Heute, nur heute Nacht, hatte Glitt eine Verabredung mit einer Papiertüte in einer Mülltonne vor Video City.
Wenn wir ihn heute verpassen, wird er weiter frei herumlaufen. Und wir wissen nicht, wo. Früher oder später wird er uns finden. Und wir wissen nicht, wann.
Wenn wir jetzt einen Rückzieher machen, wird er uns mit Sicherheit erledigen.
Es führten viele Wege von Martas Wohnung zu Video City, doch Neal stellte bald fest, dass sie auf derselben Seitenstraße fuhren, die er immer nahm, wenn er zur Videothek wollte.
Dieselbe Straße, die er Sonntagnacht genommen hatte.
Gleich würden sie zur Autobahnunterführung kommen.
Sie hielten an einer Ampel am National Boulevard. Sue drehte sich um und sah Neal an. »Alles klar?«, fragte sie.
»Ja.«
»Wohl kaum«, sagte Marta. Es war unmöglich, ihr etwas vorzumachen.
»Mir ging’s schon besser«, gab er zu. »Ich habe nur Angst. Ich wünschte,
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