Der Gast: Roman
schon sein. Wenn man ihn kannte, musste man ihn einfach gern haben.«
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Eines Nachts kam Marta, nachdem sie sich die Zähne geputzt hatte, ins Schlafzimmer und sah, dass Sue weinte. Die Nachttischlampe brannte. Sue hatte sich bis zur Taille mit einem Laken zugedeckt. Ihr Rücken war nackt, das Gesicht in einem Kissen vergraben.
Als sie das Armband an ihrem rechten Oberarm sah, dachte Marta zuerst, sie würde jemandem einen Besuch abstatten. Seit Neals Tod hatte Sue das Armband gelegentlich benutzt, um ihrem Kummer zu entfliehen. Vielleicht weinte sie nun wegen des Schmerzes eines Fremden.
Marta legte sich neben sie und strich ihr sanft über den Rücken.
Sue drehte den Kopf.
Sie ist doch nicht unterwegs.
»Geht’s dir gut?«, fragte Marta.
»Ich bin nur traurig.«
»Wegen Neal?«
»Ja.«
»Ich vermisse ihn auch.«
»Ich hab ihn nicht mal richtig kennengelernt. Das ist so gemein. Drei Tage. Mehr hatten wir nicht. Ich hab gedacht, wir würden den Rest unseres Lebens miteinander verbringen. Aber wir hatten nur drei Tage.«
»Ich weiß«, flüsterte Marta. »Ich weiß.« Sie fuhr mit der Hand an ihrem glatten Rücken hinauf und massierte ihren Nacken. »Wenigstens werden wir sein Kind haben.«
» Du wirst sein Kind haben, ich nicht.«
»Vielleicht bekommst du auch eines.«
»Da mache ich mir keine Hoffnung.«
Marta zwang sich zu einem Lächeln. »Warte mal bis zu deiner nächsten Periode ab.«
»Ich will Neal .«
»Komm her«, sagte Marta.
Sue drehte sich auf die Seite und rutschte zu ihr. Während sie sich in den Armen lagen, weinte Sue weiter. Marta kraulte mit einer Hand ihr Haar, mit der anderen streichelte sie ihren Rücken. Sues Tränen durchweichten die Vorderseite ihres Nachthemds.
Nach einer Weile sagte Marta: »Vielleicht ist er wirklich in einer von uns.«
»Ich hoffe es so sehr.« Sue schniefte. »Ich denk die ganze Zeit darüber nach.«
»Ich auch.«
»Ich … ich spreche mit ihm. In meinem Kopf. Machst du das auch?«
»Klar.«
»Aber er antwortet nicht.«
»Ich weiß«, sagte Marta. »Er kann nicht.«
»Ich wünschte, er könnte es.«
»Wäre das nicht toll?«
»Siehst du öfter in den Spiegel?«, fragte Sue.
»Damit er mich sehen kann? Klar. Ich mache viele solche Sachen. Weil ich denke, dass er vielleicht in mir ist. Gestern habe ich nackt vor einem Spiegel getanzt.«
»Echt?« Sue schniefte noch einmal. Sie schien nicht mehr zu weinen.
»Für Neal. Falls er in mir ist.«
»Was hast du noch gemacht?«
Marta zuckte die Achseln und spürte dabei, wie das Nachthemd an der feuchten Stelle an ihren Brüsten zog.
»Hast du an dir rumgespielt?«
Marta errötete. »Hey.«
»Ich schon. Ich will, dass er glücklich ist.«
»Ich weiß«, sagte Marta.
»Machst du es auch?«
»Ja.«
Sue lachte leise. Marta spürte ihren heißen Atem durch das Nachthemd. »Eins ist klar, er ist nicht in uns beiden.«
»Wohl kaum.«
»Also macht eine von uns viel Wind um nichts.«
»Oder wir beide«, sagte Marta.
Sie schwiegen eine Weile. Marta wünschte, sie hätte das nicht gesagt. Sie drückte Sue sanft an sich.
»Manchmal könnte ich schwören, dass er in mir ist«, sagte Sue dann. »Ich kann ihn spüren . Dann geht es mir gut, und ich vermiss ihn sogar eine Weile nicht. Das Problem ist, dass ich dann wieder denke, er ist vielleicht doch nicht in mir, und ich tu es mir nur einbilden.«
»Ich weiß. Es geht mir genauso.«
»Als würde ich mir selbst was vormachen.«
»Ja.«
»Dann fühl ich mich so leer und einsam …«
Marta senkte ihr Gesicht, spürte, wie Sues Haare sie kitzelten, und küsste sie oben auf den Kopf. »Schon gut«, flüsterte sie.
»Es ist nicht so, dass ich dich nicht liebe.«
»Schon gut.«
»Es ist nur … ich vermisse Neal so sehr.«
»Ich auch«, flüsterte Marta.
»Wenn ich bloß sicher wär, ob er …«
»Ich werde es tun«, sagte Marta.
Sue versteifte sich ein wenig, hob das Gesicht und sah Marta in die Augen. »Wirklich?«
»Wenn du sicher bist, dass du es willst.«
Plötzlich lächelte Sue. »Du bist die Tollste!«
»Ich weiß.«
Mit einem leisen Lachen drehte sich Sue auf den Rücken und schob das Armband von ihrem Oberarm. »Du hast immer gesagt, du würdest es nie machen.«
»Ich habe es mir anders überlegt.«
Sue zog sich das Armband von der Hand.
Marta nahm es und streckte sich auf dem Rücken aus. Sie schlüpfte mit der bandagierten rechten Hand in die goldene gewundene Schlange.
Sue drehte sich auf die Seite und stützte sich
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