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Der Gastprofessor

Der Gastprofessor

Titel: Der Gastprofessor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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Ausnahme als die Regel, würde ich mich bestimmt erinnern. Unter der Jacke trug er einen ärmellosen Pullover, und ich weiß von keinem dieser beiden Artikel mehr die Farbe, aber der Pullunder war der reinste Schuhputzlappen, völlig verfackt. Unter dem Arm hatte er eine abgeschlaffte Tasche aus Kunstleder. Daß es kein echtes Leder war, nahm ich deshalb an, weil einer, der so rumläuft, einfach nichts Echtes haben kann.
    Also gut, jetzt sein Gesicht. Er hatte ein komisches, fast hätte ich gesagt bizarres Glitzern in den Augen, von dem ich nicht wußte, wo ich’s hintun soll, bis ich zufällig in den Spiegel schaute, wie ich hinter ihm aufgefegt hab, und in meinen Augen genau dasselbe sah … Irgendwo hab ich mal gelesen, wahrscheinlich in einem National Geographie im Wartezimmer beim Frauenarzt, daß jedes Gesicht eine Karte von einem Land ist, an das wir uns vage erinnern. Also jedenfalls, ich kann Ihnen sagen, das stimmt. Mein Neandertaler – ich rede vom Haarschnitt, nicht von der Intelligenz, okay? –, mein Neandertaler hatte sich irgendwann im Leben mal furchtbar erschrocken, und die Spuren der Furcht, der Beunruhigung, der Überraschung, ja sogar der Verzweiflung waren ihm ins Gesicht geschrieben, in die Augen eingeprägt. Die blutunterlaufen waren. Was hieß, daß er entweder zuviel trank oder zuwenig schlief – oder beides.
    Wenn ich einen Kunden seh, der eine Tasche dabei hat, Imitat oder nicht, halt ich ein Auge offen, damit er mir nicht meine gottverdammten Playboys klaut, was – entschuldigen Sie, wenn ich vorwegnehme, was Ihnen gleich durch den Kopf gehen würde – nicht dasselbe ist wie das Klauen von Sardinen im Supermarkt, weil ich meine Preise nämlich nicht wattier, um den Playboy-Schwund wettzumachen. Damit er merkt, daß ich ein Auge offenhalte, hab ich meinen üblichen Spruch abgelassen. »Bin gleich für Sie da«, hab ich gesagt. Ich hab zugesehen, wie er das Halstuch in das Armloch von seinem Mantel gestopft hat, eine Methode, die mir nicht fremd ist – sie erinnert mich an meinen Exmann, von dem ich mich nach zwei Monaten Eheunglück scheiden ließ, weil er seine Verwandten dazu angestiftet hatte, bei unserer Hochzeit Reis statt Vogelfutter auszustreuen. Roher Reis, falls Ihnen das noch nie einer gesteckt hat, quillt nämlich im Vogelmagen, verstehen Sie? Und das führt bei den Vögeln zu akuten Verdauungstörungen und, falls sie genug Reiskörner fressen, was sie bei Hochzeiten gern tun, zu einem qualvollen Tod. Wo war ich? Yo! Ich hab gesehen, wie er den Playboy befingert, und auch, wie er ohne den Kopf zu heben zu mir hersieht, ob meine Wenigkeit ihn beobachtet, aber ich wandte den Blick ab – ich hab eine Schwäche für hochgestochene Redewendungen wie »wandte den Blick ab«, man klingt dann so. gebildet. Ich wandte also den obenerwähnten Blick ab, und er hat betont gleichgültig das Heft durchgeblättert bis zum Klappbild in der Mitte. Und damit bin ich bei der ersten Sache, die mir an ihm gefiel.
    Für mich war er ein offenes Buch wie die meisten Männer, und was las ich in dem Buch? Daß er keine religiösen oder sonstigen Vorbehalte gegen Nuditäten hatte – welcher vernünftige Mensch hätte die auch? –, aber auch, daß er die Miezen nicht sexy fand. Das hat mich fasziniert, zugegeben. Ich meine, nach meinen Erfahrungen vögeln Frauen Typen, die sie im Grunde genommen mögen, vorausgesetzt, die Kerle sind mit einem Schwanz ausgestattet. Männer dagegen vögeln Muschis, ganz gleich, ob sie die dazugehörigen Frauen kennen oder nicht, von mögen ganz zu schweigen. Aber mein Neandertaler war irgendwie anders. Er war doppelt so alt wie ich, mindestens – ich bin dreiundzwanzig –, und ich hörte förmlich schon, wie mich die gottverdammten Verbindungsbrüder beim Delta Delta Phi als Grabräuberin und Friedhofsschänderin verarschen würden. Aber ich hab schließlich noch nie was drauf gegeben, was die Leute denken, immer vorausgesetzt, man zählt die Brüder von der Delta Delta Phi zu den denkenden Menschen.
    Im Hinterkopf hatte ich auch noch andere Gründe, L. Falk, was sich als sein Henkel herausstellte, zu fragen, ob er mit mir auf die Party gehen wollte. Es heißt ja, alles über dreißig ist auf dem absteigenden Ast, aber ich frag mich langsam, ob ich nicht besser dran wäre mit einem ständigen Begleiter, der auf dem absteigenden Ast sitzt. Ich hab die Nase gestrichen voll von diesen Fuzzis, die denken, sie tun dir einen Gefallen, wenn sie dich vögeln, und

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