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Der Gastprofessor

Der Gastprofessor

Titel: Der Gastprofessor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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in den Schädel setzten, daß ich möglicherweise der Messias sei. Ich versuchte, es ins Lächerliche zu ziehen, so wie Jesus von Natzereth es ins Lächerliche gezogen hat, indem ich ihnen nämlich sagte: ›Ihr sagt recht daran, denn ich bin es auch.‹ Ha! Als Messias ergeht es einem ähnlich wie einem Spion. Man wird immer wieder gefragt: ›Sie sind es also, ja?‹ Sagt man darauf das Offenkundige – ›Wenn ich es wäre, würde ich es Ihnen sagen?‹ – ist der andere erst recht überzeugt, daß man es ist. Natürlich bin ich nicht der Messias, aber wenn ich es wäre, würde ich es trotzdem abstreiten. Wie auch immer, ich ging her und kaufte ein Brownstone-Haus am Eastern Parkway im Bezirk Crown Heights von Brooklyn und gründete meine eigene Talmudschule. Die ersten paar Jahre ging alles gut. Aber wer hätte ahnen können, daß das Viertel sich in ein schwartzer- Getto verwandeln würde? Sie sind sich dessen wahrscheinlich nicht bewußt, aber die Konkurrenz auf dem Talmudschulensektor ist hart. Ich bekam nicht mehr genug Schüler zusammen. Die wenigen Unverwüstlichen, die sich auf Straßen voller arbeitsloser Schwarzer wagten, waren, gelinde gesagt, nicht gerade das Gelbe vom Ei. Manche konnten kaum Hebräisch lesen und schreiben, geschweige denn Aramäisch. Ich gab Nachhilfeunterricht in Lesen und Schreiben, aber das war, wie wenn man ins Feuer spuckt. Es dauerte nicht lange, und ich kam mit meiner Hypothek in Verzug. Ich hielt mich über Wasser, indem ich aus dem Keller der Talmudschule koscheren Wein verkaufte, und hielt mir die verdammten Nazi- Banker, von denen manche Juden waren, vom Leib, indem ich sie des Antisemitismus bezichtigte. Aber dann brachte ich mit einem Interview in einer Talkshow die ganz Welt gegen mich auf.«
    »Ich dachte, in Amerika kann jeder sagen, was ihm in den Sinn kommt.«
    »In Amerika kann jeder denken, was ihm in den Sinn kommt.
    Aber manches sagt man nicht laut. Was ich laut sagte, war: Wir müßten uns mit der Musik abfinden, auch wenn uns die Melodie nicht gefalle, und die Musik sei nun mal, daß die Gois den Juden auch in tausend Jahren den Holocaust nicht verzeihen würden. Ha! Hätte ich für jedesmal, wo mein Telefon klingelte, einen Dollar gekriegt, ich hätte die Hypothek auf einen Sitz zurückzahlen können. Die jüdischen Organisationen heulten wie Wölfe vor meiner Tür. Der Jewish Daily Forward kastrierte mich in einem Leitartikel. Die führenden Institutionen rochen Blut, schlossen auf eine Wunde und entzogen mir die Lizenz. Ich verlor meine vielgeliebte Talmudschule.«
    »Womit wir beim Institut wären.«
    »Womit wir beim Institut wären. Ich erinnerte mich, irgendwo, vielleicht im Scientific American, einen Artikel über das Institut für Chaosforschung gelesen zu haben. Spontan schrieb ich eine Bewerbung – was hatte ich schon zu verlieren? –, in der ich vorgab, ich hätte mich mein Leben lang für die Spuren des Chaos in der Thora interessiert. Da Physiker und Chemiker und Mathematiker im Personalausschuß des Instituts das Sagen hatten, rechnete ich mir aus, daß sie nicht genug über die Thora wissen würden, um einen Rebbe abzulehnen, noch dazu den Or Hachaim Hakadosch aus Brooklyn. Und siehe da, meine Rechnung ging auf.«
    Der Rebbe schraubt den Deckel von dem Senfglas ab, schnuppert am Inhalt, schraubt den Deckel wieder drauf. »Um Ihnen die Wahrheit zu sagen, Gott ist mein Zeuge – ich glaubte anfangs nicht an mein eigenes Blabla. Aber als ich dann so tat, als ob, erkannte ich, daß es in der Thora tatsächlich Spuren des Chaos gibt. Ha! Ich bin seit meiner Kindheit ein Thora-Junkie, öffne immer wieder Austern der Weisheit auf der Suche nach der PERLE, in Großbuchstaben, die ich für GOTT, in Großbuchstaben, hielt. Und was habe ich gefunden? Ich fand eine ganz normal geschriebene Kuriosität, die sich als Chaos entpuppte!«
    Der Rebbe läßt sich in seinen Sessel zurücksinken. Müde schließen sich die Lider über seinen hervortretenden Augen. »Ihre Freundin Rain würde sagen: Sachen gibt’s.«
    Kurz vor der Mittagspause kreuzt Charlie Atwater in Lemuels Büro auf, in der Hand mehrere Seiten mit Meßergebnissen zur Oberflächenspannung von Tränen. Er verrät nicht, wie er an das Datenmaterial gekommen ist, aber es ist ein offenes Geheimnis am Institut, daß er eine Affäre mit seiner Sekretärin hat und ihr das Leben schwermacht. Da noch nicht Mittag ist, hat er seinen ersten Drink noch vor sich und spricht die Konsonanten richtig aus. Er

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