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Der Gastprofessor

Der Gastprofessor

Titel: Der Gastprofessor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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daß man sich an sie gewöhnte.
    »Ich brauche dich.«
    »Was du brauchst, ist der eine oder andere Tip, wie du.«
    »Ich erwäge ernsthaft das Für und Wider einer Leidenschaft für jemanden, der existiert.«
    Eine lange Pause trat ein.
    »Hast du gehört, was ich zu dir gesagt habe?«
    »Bin ja nicht taub.«
    »Jemand, den ich aus Petersburg kenne, ist in Backwater aufgetaucht.«
    »Schön für ihn.«
    »Es ist eine Sie.«
    Rain zögerte einen Moment, dann streute sie beiläufig eine Einladung ins Gespräch ein. »Dann bring sie halt zum Abendessen mit.«
    Ich erklärte Axinja die Situation. Die Person, mit der ich eine Wohnung teile, eine Friseuse, ja, die außerdem an der Universität Hauswirtschaft studiere, habe sie zum Abendessen eingeladen. Für Axinja, für die Gemeinschaftswohnungen die Regel waren, nicht die Ausnahme, wäre alles andere verdächtiger gewesen. Sie zuckte die Achseln. »Von mir aus«, sagte sie mit einem in die Ferne gerichteten Blick. »Vorausgesetzt, die Reise dahin endet mit einer Ankunft.«
    Sie ließ sich von mir in die Ärmel ihres mit einem alten Stoffmantel gefütterten Ledermantels helfen, sie ließ sich von mir aus dem Gebäude führen, die Straße entlang, am Waschsalon vorbei zu der Seitengasse der North Main Street und schließlich die Holztreppe hinauf. Den ganzen Weg sagte sie kein Wort. Ich tastete über der Wohnungstür nach dem Schlüssel, als Rain die Tür aufriß. Sie legte den Kopf schief, lächelte eisig und taxierte die russische Konkurrenz.
    »Axinja, das ist Rain. Rain, das ist Axinja.«
    »Freut mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen«, sagte Rain mit seltsam maskuliner Stimme. Sie nahm Axinjas Mantel und warf ihn über die Lehne der Couch, auf der sich schon Mäntel und Pullover und Miniröcke türmten. »Wo hat sie denn diese Klamotten her?« fragte sie mich aus dem Mundwinkel.
    Axinja sah sich angewidert im Zimmer um. Sich selbst überlassen, hätte sie die Ärmel hochgekrempelt und gründlich aufgeräumt. »Tschto ona goworit?« wollte sie wissen.
    »Sie fragt, wo du deine Bluse gekauft hast. Sie hat eine Schwäche für durchsichtige Kleider.«
    »Hey, stimmt ja, ihr zwei sprecht ja russisch miteinander«, begriff Rain. »Hab ich doch tatsächlich vergessen, daß L. Falk Ausländer ist.«
    Beim Abendessen zog Rain alle Register, servierte kurz gewendete Spiegeleier auf kaltem Toast, reichte italienischen Wein aus einer Flasche in Plastikstroh, wartete mit Weizenvollkornbrot und dünnen Scheiben von einem Käse auf, der irgendwie mißglückt war und große Löcher hatte. Sie stellte Axinja einen Teller hin, bot ihr die Ketchupflasche an und ertränkte ihre eigenen Eier in dem roten Zeug, als Axinja mißtrauisch ablehnte.
    Rain, das muß man ihr lassen, gab sich redlich Mühe, ein Gespräch mit der Außerirdischen anzufangen, die vor ihrer Haustür gelandet war, denn so kam ihr die Russin mit der durchsichtigen Bluse und dem verwaschenen BH vor.
    »Was machen Sie, wenn Sie nicht gerade Backwater einen Besuch abstatten?« fragte sie Axinja.
    »Ich chatte eine gutte Raise, danke vielmals«, erwiderte Axinja.
    Rain ließ sich durch das Fehlen einer direkten Beziehung zwischen ihren Fragen und Axinjas Antworten nicht aus dem Konzept bringen.
    »Sind Sie zum erstenmal in Amerika?«
    Axinja sah mich an. »Ist die nicht ein bißchen jung für dich?« fragte sie mich auf russisch.
    »Unsere Beziehung ist rein platonisch«, klärte ich Axinja auf russisch auf. »Sie brät kurz gewendete Spiegeleier, und ich mache hinterher den Abwasch.«
    Axinja legte ein breites Lächeln auf, ein sicheres Zeichen dafür, daß sie mir kein Wort glaubte. Sie wandte sich wieder Rain zu.
    »Ich war gebort« – sie fragte mich auf russisch, was »nach« auf englisch heiße – »nach der Tod von Josef Stalin, deshalb ich nicht weiß, wie ist gewesen.« Nachdem sie sich das von der Seele geredet hatte, entrang sich ihr aus irgendeinem Grund ein tiefer Seufzer der Erleichterung.
    »Hey, das tut mir wirklich leid, ehrlich«, sagte Rain mit einem längeren und härteren Gesicht, als ich es je bei ihr gesehen hatte.
    »Sie sagt, es tut ihr leid«, dolmetschte ich, als ich Axinjas verständnislosen Blick sah.
    »Die redet wie ein Maschinengewehr«, sagte Axinja auf russisch. »Was tut ihr leid?«
    Ich leitete die Frage an Rain weiter.
    »Das mit Stalin. Daß er gestorben ist.«
    Ausgerechnet in diesem Moment kam Mayday in die Küche getrottet und schnüffelte an Axinjas gemusterten Strümpfen. Sie

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