Der Gastprofessor
Freitag.«
Mrs. Shipps Mitteilung klingt wie eine Durchsage vom Tower eines Flughafens. »Schon wieder hat eine dieser Journalistenkreaturen um die Erlaubnis gebeten, auf unserer Rollbahn zu landen«, sagt sie. »Diesmal ist es eine Frau, die mit einem Akzent spricht, der mich an Ihren erinnert, nur daß er noch stärker ist. Als ich sie fragte, wo sie herkommt, sagte sie etwas über das Chaos anderer Leute, das angeblich schöner ist. Ist das ein Land? Ich habe sie in Warteposition gesetzt, im Konferenzraum am Ende des Flurs.«
»Ich traue Journalisten nicht über den Weg«, sagt Lemuel zum Rebbe. »Marx, Lenin, Trotzki waren allesamt zeitweise Journalisten, und schauen Sie sich an, was sie Mütterchen Rußland angetan haben.«
Lemuel stürmt in den Konferenzraum, fest entschlossen, die Journalistin zum Teufel zu jagen – er gibt Interviews nur nach Vereinbarung, und Vereinbarungen lehnt er ab –, bleibt aber wie vom Donner gerührt stehen, als er besagter Journalistin ansichtig wird.
»Sdrawstwui, LemuelMelorowitsch. «
»Yo! Axinja! Tschto ty delajesch w Amerike?«
»Choroschi wopros …«
2. KAPITEL
Wenn man seinen eigenen Augen nicht trauen kann, wessen Augen kann man dann trauen? Und doch war sie es, in voller Lebensgröße, größer denn je, mit einem verkrampften Lächeln, das nichts mit Humor oder Freude zu tun hatte, ihre schlaffen Brüste in einen BH gezwängt, der schon so oft gewaschen worden war, daß er wie ein Staublappen aussah, der Staublappen von BH deutlich zu sehen unter einer kunstseidenen Bluse, die im Lauf der Jahre vergilbt war, die Augenbrauen bis auf die Knochen ausgezupft und angstvoll nach oben gebogen. Meine Geliebte aus Petersburg, Axinja Petrowna Wolkowa, nach Amerika gekommen, um meinem störrischen Fleisch der Himmel weiß was zu entlocken.
»Sdrawstwui, Lemuel Melorowitsch. «
»Yo! Axinja! Tschto ty delajesch w Amerike?«
»Choroschi wopros …« sagt sie. »Wo können wir reden?« Russisch zu sprechen war mir ungewohnt. Vergeblich zermarterte ich mir das Gehirn nach einer Entsprechung für »Was läuft?« oder »Keine Panik«. »Das hängt davon ab, worüber du reden willst«, sagte ich schließlich.
»Dein Russisch ist eingerostet«, bemerkte sie. »Du sprichst mit Akzent.«
Ich sah, daß sie angespannt war. Sie schaute immer wieder durch die offene Tür zu Mrs. Shipp hin, strich unaufhörlich mit der Handfläche nicht vorhandene Knitter in ihrem Rock glatt, eine Geste, die ein Bild von Axinja in Petersburg vor mir erstehen ließ – nach jedem Schäferstündchen hatte sie ein Handtuch auf meinem Schreibtisch ausgebreitet und jedes ihrer Kleidungsstücke sorgfältig gebügelt, bevor sie sie wieder anzog. Einmal hatte ich ihr vorgeworfen, sie wolle die Spuren der Leidenschaft beseitigen, aber das hatte sie vehement abgestritten. »Falten, sogar in der Kleidung, lassen einen älter aussehen, als man ist«, hatte sie gesagt.
»Meine Redaktionskollegen bei der Petersburg Prawda« , sagte sie jetzt, »haben Associated Press abonniert. Sie haben den Bericht über den verrückten Russen gelesen, der sich auf die Rampe gelegt hatte, um die Bulldozer daran zu hindern, Erde für eine Atommülldeponie auszuheben. Sie haben mich hergeschickt, damit ich dich interviewe.«
»Das ist über drei Wochen her. Du hast dir ganz schön Zeit gelassen.«
»Ich bin mit dem Zug, mit einem Frachter und mit dem Bus gefahren«, sagte sie. »Flugtickets kann sich die Petersburg Prawda nicht leisten.«
Eine innere Stimme sagte mir: Verschwinde hier wie Wladimir! »Du hast doch nicht den weiten Weg gemacht, um mich nach meiner Meinung über Abtreibung oder das Ozonloch zu fragen«, mutmaßte ich.
Sie beugte sich näher zu mir. Ihre Brüste fielen in ihr verwaschenes Sicherheitsnetz. »Hat sich das Chaos von jemand anderem als schöner erwiesen? Komm heim zu dem Chaos, das du kennst, Lemuel Melorowitsch. Ich habe diskret Nachforschungen angestellt – noch hält man dir deinen Platz am Steklow-Institut für Mathematik frei.« Sie ließ ihre Fingerspitzen auf meinen Oberschenkel sinken. Mir fiel auf, daß ihre Nägel bis auf die Fingerkuppen abgenagt waren. »Vieles ist anders geworden in Rußland«, fuhr sie fort. »Die Amerikaner haben einen Fonds eingerichtet, um zu verhindern, daß russische Wissenschaftler sich in Libyen oder im Irak verdingen. Jetzt werden alle bis auf die Putzfrauen am Steklow in US-Dollars bezahlt. Ich hab gehört, daß jemand mit deinen Dienstjahren sechzehn Dollar
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