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Der Gastprofessor

Der Gastprofessor

Titel: Der Gastprofessor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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die Woche kriegen würde. Das sind fast sechzehntausend Rubel in der Woche, also
    vierundsechzigtausend Rubel im Monat.«
    »So etwas wie Rubel gibt’s nicht mehr«, warf ich ein, aber sie ließ sich nicht vom Kurs abbringen.
    »Da ist noch nicht die Jahresgratifikation von fünfzig Dollar eingerechnet, ganz zu schweigen von dem, was du bei Institutsessen mitgehen lassen kannst.«
    »Ich bin ein Kaputtnik«, sagte ich. »Was für eine Sprache ist das denn?« wollte Axinja wissen.
    »Liliputanisch«, klärte ich sie auf. »Es bedeutet, daß ich müde bin«, fügte ich müde hinzu.
    Axinja stand auf, machte die Tür zu, kam zurück und drehte ihren Stuhl herum, so daß wir nebeneinander saßen. Sie lehnte sich nach rechts, sprach aus dem Mundwinkel mit mir, die Augen starr geradeaus; ich lehnte mich nach links und hörte ihr mit geschlossenen Augen zu.
    »Die Wahrheit ist, daß sie mich hergeschickt haben, weil sie dachten, die Botschaft wäre bekömmlicher, nachdem du die Botin vernascht hast.«
    »Hey, und wer hat dich geschickt?« Ihre Lippen bewegten sich kaum. »Sie. Die. Die Leute, für die du an der Sprachverschlüsselung gearbeitet hast. Die haben auch Associated Press abonniert.«
    Ich erschrak, als sie meine Verschlüsselungsarbeit erwähnte, ich selbst hatte daheim in Petersburg nie mit jemandem darüber gesprochen. In solchen Situationen räuspere ich mich immer, also habe ich es wahrscheinlich auch in diesem Moment getan.
    »Sie tragen dir nichts nach, Lemuel Melorowitsch«, beeilte sie sich hinzuzufügen. »Sie werden dir aus deinem Weggang keinen Strick drehen, vorausgesetzt, das Konto wird durch deine Rückkehr ausgeglichen. Sie sehen es so, daß du in Panik geraten bist, als dein Visumsantrag zum erstenmal nicht abgelehnt wurde.«
    Mir wurde plötzlich klar, daß ihre kleine Ansprache den hölzernen Klang hatte, den Worte annehmen, wenn man sie vorher geprobt hat. Vor dem Spiegel? Vor den Leuten, die mir meinen Weggang nicht verübeln würden, vorausgesetzt, ich kam zurück?
    »Du bist zu dem Schluß gekommen, daß der verrottende Kern der Bürokratie vom Chaos infiziert war«, sagte Axinja. »Das waren deine eigenen Worte. Du bist zu dem Schluß gekommen, daß die Lage ernster war, als du angenommen hattest. Sie wollen dich zurückhaben, Lemuel Melorowitsch. Das bedeutet, daß die Lage günstiger ist, als du angenommen hast. Und das bedeutet außerdem, daß die Dinge nicht so chaotisch sind, wie sie zu sein scheinen. Du bist zu dem Schluß gekommen, daß es Zeit war zu gehen, weil man dir die Erlaubnis dazu erteilt hatte. Jetzt ist es Zeit zurückzukehren, weil sie dich zurückhaben wollen.«
    Ich hob den Finger, wie ein Student, der darum bittet, auch einmal was sagen zu dürfen. »Ich möchte dir eine heikle Frage stellen.«
    Aus den Augenwinkeln sah ich, daß sie zögerte.
    »Hast du einen sogenannten G-Punkt?«
    Sie starrte mich an. »Einen was Punkt?«
    Ich gestand ihr, daß ich ungeheuer erleichtert war, das zu hören, und jede Silbe kam mir von Herzen. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Nach einem gewissen Maß an Unterweisung durch Rain wußte ich mehr oder weniger, wo der G-Punkt war, war mir aber immer noch nicht ganz sicher, was er war. Man kann nur eine begrenzte Anzahl Fragen stellen, ohne als der Idiot dazustehen, der man ist.
    Ich beschloß, das Thema zu wechseln. »Wo bist du abgestiegen?«
    »In dem Motel am Stadtrand«, erwiderte Axinja. »Das kostet vierzigtausend Rubel am Tag. Gott sei dank brauche ich das nicht selber zu bezahlen. Ich verdiene nur viertausendachthundert Rubel im Monat.« Sie brach in Tränen aus. »Um Gottes willen«, stammelte sie, und ihre Brüste hoben und senkten sich im Rhythmus ihres Schluchzens, »komm nach Hause.«
    Ich machte die Tür auf und rief Mrs. Shipp über den Gang zu, sie solle Rain für mich anrufen.
    Einen Augenblick später summte das Telefon im Konferenzraum. Ich nahm ab und hörte Rains Stimme.
    »Was läuft?« sagte sie.
    »Hey, du bist also gar nicht mehr sauer?«
    »Nein«, antwortete sie in einem Tonfall, aus dem klar hervorging, daß sie es doch noch war.
    Ich drehte Axinja den Rücken zu und legte die Hand um die Sprechmuschel. »Ich bin in deinen Körper verliebt«, sagte ich rasch. »Ich finde, er ist allererste Sahne. Ich bin in deinen sibirischen Nachtfalter verliebt.«
    »Du, ich brauch das nicht, dieses.«
    »Man muß sich an dich gewöhnen«, sagte ich mit einiger Dringlichkeit.
    »Yo.« Es klang, als widerstrebte es ihr,

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