Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gastprofessor

Der Gastprofessor

Titel: Der Gastprofessor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
Vom Netzwerk:
Küche zurückkam, sah mich Rain mit einem Blick an, der mir komisch erschien.
    »Das ist die, von der du mir erzählt hast, stimmt’s? Die, mit der du dich immer am Montagnachmittag und am Donnerstagabend getroffen hast? Die vorher dein Zimmer aufgeräumt und nach dem Sex immer ihre Klamotten gebügelt hat? Also was ist, willst du’s mit ihr treiben?«
    »Yo?«
    »Mein Angebot: Du willst sie vögeln, also laß dich nicht abhalten, mir soll’s recht sein. Ich könnte euch sogar zuschauen dabei, verstehst du? Oder ich könnte partizipieren. Oder mich verdünnisieren. Ganz wie’s beliebt.«
    »Du möchtest partizipieren?«
    »Mich anschließen. Mitmachen. Kollaborieren.« Eines ihrer Augen zuckte suggestiv. »Hey, überleg’s dir.«
    Ich holte tief Luft, ich nahm die Schultern zurück, ich fuhr mir mit den Fingern durch meine strubbeligen Haare. »Ich will sie nicht vögeln«, verkündete ich mit angemessener Würde. »Und ich will nicht, daß du partizipierst oder dich verdünnisierst.«
    »Also gibt’s doch keinen Grund, sauer zu sein.«
    »Ich bin nicht sauer«, beteuerte ich, aber ich log durch meine schlecht gerichteten, fleckigen Zähne. Ich war sauer auf Rain, weil sie sich nicht für den Tod ihres Vaters verantwortlich fühlte. Ich war sauer auf Axinja, weil sie nach Backwater gekommen war. Ich war sauer, weil Rain so gleichgültig reagierte. Ich war sauer, weil sie es für möglich hielt, ich könnte wollen, daß sie mit mir kollaboriert, wenn ich mit Axinja kollaboriere. (Ich hatte schon von solchen Sachen gehört, hatte sogar von solchen Sachen phantasiert, hielt sie aber im Grund für Auswüchse westlicher Dekadenz.) Vor allem aber war ich sauer auf mich selbst, weil es mir Angst einjagte, daß die Stockfische, für die ich daheim in Rußland die Verschlüsselungsarbeit gemacht hatte, meine Abreise bemerkt hatten und mich zurückhaben wollten.
    Die Klospülung ging. Es dauerte eine Ewigkeit, bis Axinja zurückkam. Rain und ich wechselten Blicke. Ich zuckte die Achseln. Rain zuckte auch die Achseln. Als sie hinauflangte, um den koffeinfreien Kaffee wieder auf das Bord zu stellen, rutschte ihr T-Shirt hoch, so daß einen Moment lang die weich geschwungene Unterseite ihrer Brust und der in einem Meer von Sommersprossen badende sibirische Nachtfalter zu sehen waren.
    Ich putzte mein Auge blank, wie wir im Russischen sagen. Und mein Herz.
    Axinja kam in die Küche geschlendert. Sie hatte einen diabolischen Ausdruck im Gesicht.
    »Ich hab den schwedischen Rasierapparat, den ich dir zum Namenstag geschenkt habe, im Arzneischränkchen neben ihren Binden gesehen«, teilte sie mir in frostigem Ton auf russisch mit.
    »Hey, tut euch keinen Zwang an und redet ruhig weiter in dieser Geheimsprache«, bemerkte Rain schnippisch.
    »Wir haben nur ein Badezimmer«, erklärte ich Axinja auf russisch. »Und in dem einen Badezimmer ist nur ein Arzneischränkchen.«
    »Und es ist auch nur ein Schlafzimmer da«, gab Axinja zurück. »Und in dem einen Schlafzimmer ist nur ein Bett.«
    »In dem Zimmer mit meinem Computer steht eine Couch, die sich aufklappen läßt.«
    »Im Moment ist sie zugeklappt. Wenn du sie jemals aufklappen würdest, dann würde dir auffallen, daß kein Bettzeug drin ist.«
    »Ich hatte mich schon gefragt, was du so lange machst«, sagte ich leise.
    »Tut ruhig so, als ob’s mich gar nicht gäbe«, murmelte Rain. »Ich hab nichts dagegen.«
    Axinja kramte in ihrer Handtasche nach einem bestickten Taschentuch und putzte sich zierlich die Nase in den Teil, der nicht bestickt war.
    »Wann läuft dein Vertrag hier aus?« fragte sie. »Was kann ich tun, um dich zu bewegen, mit mir nach Rußland zurückzukehren?«
    Ich weiß nicht, warum, aber ich hatte plötzlich den Wunsch, ihr wehzutun. »Was ist denn für dich drin, wenn du mich zurückbringst?«
    Tränen schossen Axinja in die Augen und ließen ihre Wimperntusche verlaufen. »Wie kannst du so etwas von mir denken?« Sie strich sich eine silberweiße Strähne zurück. »Du bist drin für mich.«
    Ich beobachtete, wie ihr die Tränen über die Wangen rollten, und nahm mir vor, mit Charlie Atwater darüber zu sprechen. Er hatte sich schon mit der Oberflächenspannung von Tränen befaßt, aber es galt, noch einen weiteren chaosbezogenen Blickwinkel zu erforschen. Wenn Gewicht, Gestalt und Oberflächenspannung einer Träne bekannt waren, wenn man den Reibungskoeffizienten der Haut und die Topographie der Wange, über die sie lief, kannte, würde es dann

Weitere Kostenlose Bücher