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Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziebula
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Er blieb stumm. »Weißt du noch?« Susanna lächelte unter Tränen. »Damals auf euerm Hof an der Bachbrücke, wir haben Hochzeit gespielt.«
    Er nickte. »Der Kurfürst und seine Prinzessin waren erst sechzehn gewesen.«
    »Sie haben sich geküsst.«
    »Sie waren Mann und Frau.« Er lehnte seine Stirn gegen ihre.
    »Wir auch, Hannes.« Susanna drängte sich an ihn. »Wir sind auch bald Mann und Frau. Küss mich. Küss mich ganz lang.«
    Ende Januar, um Susannas siebzehnten Geburtstag herum, war es so kalt, dass nicht einmal die kühnsten Dorfjungen das Haus verlassen und zum Schlittschuhlaufen an den Handschuhsheimer Weiher gehen wollten. Der Februar klirrte, der Winter zog sich hin, im März lag immer noch Schnee, und das Eis wollte lange nicht weichen von Mühlbach, Neckar und Rhein.
    Die Nachrichten aus Böhmen und der Oberpfalz klangen bedrohlich: Scharmützel hier und dort, Überfälle tatarischer Reiter in Böhmen und der Lausitz, und dazu ging Friedrich, dem Kurfürsten der Pfalz, das Geld aus, weil Friedrich, der König von Böhmen, zwei Tonnen Gold in sein neues Kronland schaffen ließ. Die neuen, böhmischen Untertanen – die meisten lutherisch – waren dennoch nicht gut auf ihn zu sprechen: Sein reformierter Oberhofprediger eiferte für den Calvinismus, wollte ihnen den lutherischen Glauben austreiben und ließ alles fromme Bildwerk aus dem Prager Veitsdom entfernen.
    »Was für ein Narrenspiel führt er denn dort unten in Prag auf?«, hörte Susanna den Bauern Hans Stein poltern, als er mit ihrem Vater beim dritten Glas Obstbrand in seinem Hof saß. Es war der Frühsommer des Jahres 1620, kaum einer benutzte das Wort »Krieg«, und doch spürte Susanna es in allen Mienen und Blicken der Erwachsenen auf.
    »Der Vater des Kurfürsten Friedrich war wie dieser reformiert und hat die lutherischen Pfaffen aus der Pfalz gejagt«, erzählte Hannes’ Vater. Sie saßen vor Hannes’ Elternhaus, der Wagen war mit Färber-Ginster beladen, und der Bauer füllte sich, seinem ältesten Sohn und seinem Gast die Gläser zum vierten Mal. »Sein Großvater war lutherisch und hat die reformierten Prediger aus der Pfalz gejagt, war es nicht so, Meister Almut? Dessen Vater wiederum, der dritte Friedrich, hielt es mit den Calvinisten und ließ die lutherischen Prediger aus der Pfalz jagen. Soll ich sie weiter aufzählen, seine frommen Vorfahren?« Er winkte ab. »Und jetzt will der junge Kurfürst die lutherischen Prediger aus Prag jagen? Reicht es ihm denn nicht, dass er den Kaiser zum Feind hat? Muss er auch noch die Stände in Böhmen gegen sich aufbringen?«
    Susanna wartete gespannt auf die Antwort ihres Vaters. Doch der starrte nur in sein Schnapsglas und machte eine betretene Miene. »Hin und her und her und hin!« Hannes’ Vater fuchtelte mit den Armen. »Mal lutherisch, mal reformiert – wer steigt dennda noch durch? Da lob ich mir doch den bunten Hut und den Krummstab in Rom – der bleibt sich schon seit tausend Jahren gleich.«
    »So solltest du nicht reden, Stein.« Ein missmutiger Zug trat in das Gesicht des Vaters. »Das schickt sich nicht für einen kurpfälzischen Bauern.«
    »Den kurpfälzischen Bauern schert es wenig, was sich schickt! Er will säen, ernten, in Ruhe die Schafe scheren und seinen Wein und seinen Brand trinken.« Hans Stein leerte sein Glas und beugte sich weit über die Holzbohlen, die er wie immer als Tisch über zwei Fässer gelegt hatte. »Ich will dir etwas sagen, Fritz. Sie haben ihn ›Winterkönig‹ genannt, und ihn und seine englische Prinzessin haben sie ›Traumpaar‹ gerufen …«
    »Ich bin stolz auf unsere gnädigste Herrschaft«, hörte Susanna ihren Vater brummen, und es klang merkwürdig kleinlaut.
    »… und wahrlich, das sind sie: ein Träumerpaar!« Der Bauer ließ sich nicht beirren. »Und es sollte den kurpfälzischen Bauern wundern, wenn der Traum noch einen weiteren Winter währt.«
    Kein Wort des Zorns kam über des Vaters Lippen. Er trank seinen Obstbrand, stierte irgendwie traurig und mit erschlafften Zügen ins leere Glas und wehrte sich nicht, als Hannes’ Vater zum fünften Mal einschenkte. So kannte Susanna ihren Vater nicht.
    Jemand zupfte sie am Ärmel, einer der Zwillinge. Er hielt ihr einen Briefbogen hin. »Von Hannes«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Mutter sagt, du könntest uns vorlesen.«
    Susannas Herz geriet ins Stolpern – sie sprang auf, ließ die Männer bei Obstbrand und Trübsinn sitzen und trat hinter dem Jungen ins Haus. Auch der

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