Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
Jungbauer erhob sich, Hannes’ ältester Bruder Moritz, und folgte ihr.
In der Küche saßen die Steins entweder am Tisch oder standen an den Fenstern und sahen Susanna erwartungsvoll entgegen: Hannes’ Mutter Martha, seine Schwestern Monica, Isolde und Judith, seine Großeltern, seine Tante, sein jüngerer Bruder Friedrichund all die anderen Jungen und Mädchen. »Lies schon«, verlangte Friedrich. »Wir können es noch nicht so gut.«
Susanna entfaltete den Brief. »Ich vermisse euch, meine Geliebten«, las sie mit zitternder Stimme, »und ich schreibe euch aus Köln. Es geht mir hier gut, besser als im stolzen Frankfurt …«
Sie schluckte, atmete tief und versuchte ihrer Stimme Halt zu geben. Ihr Blick flog über die ungelenke Schrift.
Der Zimmermeister in der Stadt am Main hatte trotz schwerer Arbeit mit Essen und Geld gegeizt. Der in Köln baute große Lagerhäuser am Rhein, zahlte gut, ließ sich auch beim Essen nicht lumpen. Er hatte aber keinen Sohn und wollte Hannes unbedingt mit seiner jüngsten Tochter vermählen.
Susannas Stimme stockte, als sie an diese Stelle gelangte.
»Manche in der Stadt sprechen von Krieg«, schrieb er weiter. »Im ganzen Reich wird der toben, heißt es, und zwanzig Jahre und länger dauern. Ihr Kurfürst hier zu Köln habe das gesagt. Doch nur wenige lassen sich das Herz davon schwer machen …«
Hannes schwärmte von Köln, vom Karneval und der Lebensart dort, plante aber, bald weiter über Paderborn in die Hansestadt Magdeburg zu ziehen. »Weil die guten Leute mich doch allzu sehr drängen, ihr Schwiegersohn zu werden.«
Der Brief stammte von Anfang Mai. Inzwischen war es Mitte Juni, und Hannes musste längst auf dem Weg nach Paderborn sein.
»Mein Herz schlägt unten in Handschuhsheim, wie Ihr wisst«, hieß es am Schluss des Briefes. »Seht also zu, dass es diese Zeilen so schnell wie möglich zu sehen bekommt. Mein nächster Brief dann soll nach Handschuhsheim gehen.«
Unter Tränen verlas Susanna die vielen Grußbotschaften an die einzelnen Familienmitglieder. Dutzende Male kam sie ins Stocken, weil ihre nassen Augen ständig nach oben wanderten – mein Herz schlägt unten in Handschuhsheim, wie ihr wisst …
*
Eine Woche später – am hundertneunzigsten Tag nach Hannes’ Aufbruch – auf dem Weg nach Heidelberg sprach der Vater sie auf den Brief an. Der Bauer Stein hatte ihm davon erzählt, als die Flasche leer gewesen war, und gefragt, ob er, der Meister Almut, die Verbindung der Familien Stein und Almut denn zu fördern gedenke.
Der Vater hatte sich bedeckt gehalten.
»Ich muss an deine Zukunft denken, mein liebes Kind.« Susanna saß neben ihm im vorderen, kleineren Wagen auf dem Kutschbock; sie brachten Kleider, Wolle, besticktes Tuch und Säcke voller Färber-Ginster in die Stadt. »Und der Geselle hat um deine Hand angehalten.«
Sie fuhren an der letzten Mühle vorbei. Über ihnen segelten Schwalben. Susanna fragte sich, wie viele Tage eine Schwalbe nach Paderborn bräuchte und wie lange man bis nach Paderborn oder Magdeburg unterwegs wäre, wenn man jetzt den Wagen wendete und die Pferde nach Norden lenkte. »Ich will ihn nicht«, sagte sie leichthin und mit einem Lächeln um die weit geschwungenen Lippen.
»Ich verstehe dich ja, mein geliebtes Kind, aber verstehe du auch mich: Es geht um die Werkstatt und die Zukunft unserer Familie.«
Ehrgeizige Pläne hatte der Vater, das wusste Susanna: In Heidelberg hatten sie ihm in jungen Jahren die Aufnahme in die Zunft verweigert, weil sie in der Stadt keinen Schneider wollten, der im eleganten Frankfurt gelernt hatte und sein Handwerk wohl besser als die meisten Zunftschneider der Stadt verstand. Schnell jedoch machte er sich auch als Freimeister und Landschneider einen Namen in den höheren Ständen von Heidelberg. Zu seinem Geschick kamen der Fleiß seiner Frau und Susannas Kunstfertigkeit im Schneiden, Nähen und Sticken. Dass er als Landschneider in Handschuhsheim nicht an die Preise der Zunft gebunden war, machte ihm auch die weniger geldschwere Kundschaft geneigt.
Inzwischen arbeitete er mit den Schwägern der Mutter zusammen, einem Tuchmacher und einem Tuchfärber. Auch einen in Heilbronn ansässigen Kürschner gab es in der Verwandtschaft, und gute Beziehungen zu einem reichen Heidelberger Tuchhändler, einem Hugenotten, der wiederum Handelsbeziehungen nach Ulm und Straßburg pflegte. Bis über die Grenzen der Kurpfalz hinaus wollte Meister Almut im nächsten Jahr seinen Handel mit Stoffen und
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