Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
Kleidern ausweiten.
»Unser kleines Leben allein bedeutet nicht viel«, sagte er, und Susanna sollte diesen Satz nie vergessen. »Und wenn wir es nicht dem Leben der Familiengemeinschaft unterordnen, ist es ganz und gar verloren.«
»Ich will aber den Hannes.«
»Was sollen wir denn mit einem Zimmermann, noch dazu einem Bauernsohn?«
»Ich habe ihn sehr lieb!«
»Das vergeht, mein Kind. Was bleibt, ist ein sicheres Auskommen und die Familie.« Die ersten Häuser von Neuenheim kamen in Sicht. »Ich habe den Gesellen lange beobachtet, und ich weiß, dass er deinen Kindern ein guter Vater sein wird.«
»Ich liebe ihn nicht. Er will nur Eure Werkstatt.«
»Wie kommt es, dass du flüchtige Gefühle höher achtest als den Willen deiner Eltern und sogar höher als den Willen Gottes und die Vernunft? Glaube mir, mein geliebtes Kind: Besser allemal einen kalten Topf auf einen heißen Herd, als einen heißen Topf auf einen kalten Herd.«
Verwundert sah sie ihren Vater an. »Wie meint Ihr das, Herr Vater?«
»Die Liebe ist ein heißer Topf, und der wird erkalten, wenn er auf keinen heißen Herd kommt.«
»Und was ist der heiße Herd?«
»Die guten Sitten und der Wille Gottes: eine ordentliche Heirat nach dem Willen der Familie, eine gute Mitgift, derselbeGlaube.« Der Vater runzelte die Stirn, als würde er angestrengt nachdenken. »Der Geselle hat nicht allein das Zeug zu einem guten Gatten, sondern auch zu einem klugen Kaufmann. Den braucht es in diesen Zeiten. Und mag dein Empfinden für ihn jetzt noch einem kalten Topf gleichen – das wird sich geben, glaube mir nur. Der Topf wird heiß, sobald er erst auf dem befeuerten Herd steht.«
Der Wagen rollte über die Dorfstraße von Neuenheim. Ständig grüßte der Vater nun nach links und rechts. Susanna schwieg, bedachte jedes seiner Worte. Bald ließen sie das Dorf hinter sich. Im Osten öffnete sich das Neckartal. Ein Schiff segelte zum Rhein hinunter, eines wie jenes, das Hannes fortgetragen hatte.
Susanna versuchte sich vorzustellen, was er den Worten des Vaters wohl entgegnen würde, und sagte: »Vielleicht wird es Krieg geben, Herr Vater, vielleicht steht hier bald kein Stein mehr auf dem anderen. Und ist der Apostel Paulus nicht ehelos geblieben, weil er das Ende der Welt nahen fühlte?«
Von der Seite staunte Meister Almut seine Tochter an und suchte nach Worten. »Was fällt dir ein, liebes Kind? Willst du jetzt auch noch unter die Magister der Heiligen Schrift gehen?«
Die Türme und das Schloss von Heidelberg rückten näher, lange sprachen sie kein Wort mehr. Erst als die Wagen unter dem Dach der Neckarbrücke entlangrollten, brach der Vater das Schweigen. »Ich liebe niemanden so wie dich, Susanna«, sagte er leise. »Du machst mir das Herz schwer. Doch gehe noch einmal in dich, bedenke alle meine Worte und schlafe darüber. Wenn die Zwetschgen reif sind, werde ich dich noch einmal fragen.«
Am folgenden Tag, einem Samstag, erledigte der Vater seine Geschäfte in der Stadt. Am Abend stießen die Mutter mit der Tante und Susannas jüngerer Schwester zu ihnen. Gemeinsam besuchten sie am Sonntag den Gottesdienst in der Heilig-Geist-Kirche. Es war der Dreieinigkeits-Sonntag und der Pfarrer predigte über ein Wort aus dem dritten Kapitel des Johannes-Evangeliums: Es s ei denn, dass jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.
Susanna verstand nicht einmal die Hälfte der Predigt. Sie hing ihren eigenen Gedanken nach. Sie dachte an den Kurfürsten Friedrich, für den der Pfarrer gebetet hatte, und an Hannes: Sie malte sich das prächtige Haus aus, das er gerade in Paderborn baute. Und dann betete sie: Lieber Gott, wenn du allmächtig bist, wirst du den Krieg verhindern und dem Kurfürsten ein langes Leben schenken. Wenn du gütig und gnädig bist, wirst du Hannes heil zu mir zurückbringen, und wenn du machen kannst, dass einer von neuem geboren wird, dann kannst du erst recht machen, dass wir Mann und Frau werden.
4
D er schöne Flecken lag zwischen Rhein und Odenwald: kaum dreißig Häuser und Höfe rund um die Kirche und entlang des Fahrwegs nach Seeheim. Ein Sonntag – der Gottesdienst war seit einer Stunde vorüber, das Kirchenportal stand noch offen. In vielen Küchen hantierten die Frauen bereits an ihren Herden. Doch es würde kein Sonntagsmahl auf die Tische kommen an diesem Spätsommertag, in keinem der Häuser.
Kaiserliche galoppierten von Norden her in das Dorf, an die neunzig Reiter. In zehn Rotten zerteilt
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