Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziebula
Vom Netzwerk:
Darmstadt hat keiner sie bemerkt. Drei Kronen seien das gewesen – nach der Krone des Kurfürsten und des Königs zu Böhmen verheißt nun der Herrgott unserer gnädigsten Herrschaft auch die Kaiserkrone des Heiligen …«
    »Hat Er nicht zugehört?«, unterbrach der Vater den Gesellen. »Heiße Luft spiegelt dem Verdurstenden sogar in der Wüste Brunnen und Quellen, und am Himmel predigen keine Propheten!«
    »Meine Großmutter erzählte, bei der Geburt des Kurfürsten hätte es ein Erdbeben gegeben.« Der sonst so scheue Lehrbub schien zu einfältig, um Tonfall und Miene des Vaters richtig deuten zu können, und wollte auch noch zeigen, was er so alles wusste. »Vor sechs Jahren, als er die Herrschaft antrat, erschienen Feuerzeichen und Kriegsheere am Himmel …«
    »Und der ehrwürdige Magister Pareus hatte eine Vision im vergangenen Jahr«, nahm ihm der ältere Geselle das Wort ab. Magister David Pereus war Professor für Altes und Neues Testament an der Universität. »In einer Vision sah er Heidelberg über und über in Rauch gehüllt, und aus dem Schloss schlugen die Flammen.« Wieder ließ Susanna die Nadel sinken. Weniger die Erzählung als vielmehr die unterschwellige Ängstlichkeit in der Stimme des Gesellen erschreckte sie.
    »Krieg in der Rheinpfalz bedeutet das«, behauptete der zweite Geselle. »Das hat meine Mutter gesagt. Krieg …«
    »Genug geschwätzt!«, rief der Vater. Susanna hörte ihn mit der Faust auf den Tisch schlagen. »Hirngespinste und Weibergewäsch! Kein Wort mehr, und genäht wird jetzt, dass der Faden raucht, sonst fällt das Abendessen aus!«
    Schweigen erfüllte die Werkstatt von nun an. Scheren klapperten, Stoffe raschelten, Fäden lispelten, im Ofen knisterte das Feuer und aus der Küche klirrten Teller und Besteck. Die Großmutter deckte den Tisch.
    Susanna aber beugte sich tiefer über ihren Stickrahmen und setzte die Stiche hastiger – wie, um es zu zerstechen, das böse Wort, das sich hinter ihrer Stirn festgekrallt hatte: Krieg.
    Sie wusste nichts vom Krieg. Oder fast nichts: Großmutter hatte von einem Krieg im Frankreich ihrer Kindheit erzählt, als der französische König die Hugenotten besiegte. In Oberösterreich soll der Kaiser kurz vor Susannas Geburt Krieg gegen die eigenen Bauern geführt haben, und aus Vaters Zeitungen wusste sie, dass die Türken in Wien gegen die Kaiserlichen und die Polenan der Ostsee gegen das Heer des schwedischen Königs kämpften. Und ja – in Holland hatten die tapferen reformierten Bürger einen Waffenstillstand gegen den General der spanischen Krone erzwungen.
    Frankreich, Österreich, Ostsee, Holland – das alles lag so weit entfernt von Handschuhsheim. So weit weg wie Böhmen.
    Krieg am Neckar? Krieg in der Pfalz? Unvorstellbar.
    Sie stickte und stickte, und vor ihrem inneren Auge zogen Heerzüge vorbei, brannten Städte, galoppierten Reiter. Wilde, schwer bewaffnete Reiter wie die auf dem Spottblatt sah sie vor den Toren und der Mauer Handschuhsheims stehen, sah sich plötzlich umzingelt von ihnen, so, wie sie auf dem Spottblatt den Löwen umzingelten. Und dann sah sie Hannes auf einem der beiden schweren Schwarzwälder Kaltblüter seines Vaters den Mühlenweg heraufreiten. Er schwang seine Zimmermannsaxt, schlug auf die wilden Männer ein und ergriff Susannas ausgestreckte Hand, um sie zu sich auf den Sattel zu ziehen.
    Gemeinsam flohen sie in den Odenwald, ritten zu einem Haus, das er ihr gebaut hatte – es stand auf einer Lichtung im Buchenwald, weit weg von Städten, Menschen und Krieg. Hier würden sie sich lieb haben, hier würden sie Kinder bekommen. Doch wie sollten sie heißen, all die Jungen und Mädchen? Nach den Eltern und Großeltern oder nach den Heiligen, an deren Tage sie geboren werden? Er war doch ein heimlicher Papist …
    »Vier Uhr!« Die Großmutter stand auf der Schwelle zur Werkstatt und klatschte in die Hände. »Zu Tisch!« Lehrbub und Gesellen sprangen als Erste auf. Susanna legte Nadel und Garn ab.
    Ein kalter Luftzug wehte durch die Werkstatt, Kienspanflämmchen flackerten, jemand schlug die Haustür zu. Stiefelschritte eilten heran, und eine kalte Hand legte sich auf Susannas Schulter. Anna stand auf einmal neben ihr. Sie roch nach Kälte und Schnee.
    »Wie schön du sticken kannst!« Mit der Linken deutete sie aufden Stoff für das Festkleid, mit der Rechten ergriff sie Susannas Hand. Ihre kalten Finger wühlten ein Stück Papier in Susannas Hand. Dann drehte Anna sich um und lief zur Küche.

Weitere Kostenlose Bücher