Der Gebieter
uns doch deine Erkenntnis, Philologos.«
»Er ist nicht verärgert, weil Nahuseresh versucht hat, ihn ermorden zu lassen«, erklärte Philologos. »Er ist erzürnt, weil er nicht hingehen und Nahuseresh seinerseits umbringen kann.«
»Weil er König ist«, stimmte Hilarion zu.
»Nicht, weil er König ist«, sagte Philologos, angewidert von ihrer Beschränktheit. » Weil er nur eine Hand hat «, sprach er die Verbitterung des Königs als seine eigene aus.
Die Kammerherren besahen sich das Durcheinander ringsum, den von tiefen Kerben gezeichneten Bettpfosten und den Stoff, der wieder und wieder aufgeschlitzt worden war, bis nur noch einzelne Fäden übrig geblieben waren. Danach sahen sie mit neuem Respekt wieder Philologos an.
»Das ist es, was die Königin, wenn es nach ihm geht, nicht erfahren soll.«
Niemand widersprach. Sie konzentrierten sich ganz darauf, aufzuräumen, was sie konnten, die Reparatur der Wand in die Wege zu leiten und bis in alle Einzelheiten durchzusprechen, wie sie dem Rest des Hofstaats einreden konnten, dass der König nur aus Hass auf Nahuseresh und aus keinem anderen Grund die Fassung verloren hatte.
Costis keuchte, als er an der letzten flackernden Lampe vorbei die Steinstufen hinauf zu dem dunklen Wehrgang eilte, der um das Palastdach herumführte. Aris wartete oben auf ihn. Hinter ihnen ragte der innere Palast als düstere Masse auf. Vor ihnen
lag die Stadt mit einigen Lichtern, die auf den dunklen Straßen brannten, während weiter draußen, im Hafen, matte Lampen auf den Schiffen vor dem tieferen Schwarz des Meeres glommen. Costis erschauerte. Die Nachtluft war kühl, und er war in Schweiß geraten, als er Aristogitons Boten, der an seinen Türrahmen geklopft und ihn in den frühen Stunden der Hundewache der Nacht geweckt hatte, durch den Palast nachgeeilt war.
»Was ist los?«, fragte er, unzufrieden damit, ohne jede Erklärung hergeschleift worden zu sein. »Dein Bote wollte nicht …«
»Psst«, machte Aris und wies auf die äußere Mauer. Da Costis’ Augen sich noch nicht an die Dunkelheit gewöhnt hatten, nachdem er aus dem beleuchteten Hof unten heraufgekommen war, nahm er nur schwach eine schemenhafte Gestalt vor dem Himmel wahr.
»Das ist doch nicht …«, flüsterte Costis.
»Der König. Doch, das ist er«, sagte Aris.
»Er steht oben auf den Zinnen.« Costis war auf dieser Mauer oft Patrouille gegangen und kannte die Zinnen. Sie ragten ungefähr zwei Fuß hoch und je drei Fuß breit aus der Mauer auf und verengten sich oben zu einem schmalen Grat. Vor Costis’ Augen ging der König bis ans Ende einer Zinne und hüpfte dann über den Zwischenraum zur nächsten.
Costis öffnete den Mund, um zu fragen: »Warum sagt ihm denn niemand, dass er herunterkommen soll?«, als er begriff, warum Aris ihn aus seinem warmen Bett herbestellt hatte. »Nein«, sagte er entschieden. »Nicht ich.«
»Costis, bitte.«
»Wo sind seine verdammten Kammerherren?«, zischte Costis.
»Hinter dir«, antwortete Ion.
Costis wirbelte herum und sah eine Handvoll Kammerherren in der Dunkelheit stehen. Sie waren Costis nicht wohlgesinnt gewesen, als er beim König Dienst getan hatte. Sie hatten ihn
spüren lassen, dass gewöhnliche Soldaten in ihrem Warteraum fehl am Platz waren – und jetzt wollten sie, dass er den König aufforderte, von der Mauer herunterzukommen, bevor er stürzte und sich jeden Knochen im Leib brach.
»Geht zur Hölle«, sagte Costis. Er drehte sich um und eilte zurück zur Treppe.
»Costis, bitte«, flehte Aris.
»Das geht mich nichts an«, sagte Costis. »Außerdem hat er so etwas zu Hause sicher andauernd getan.«
»Vielleicht, aber nicht mit einem Weinschlauch in der Hand«, sagte Ion freimütig. Verblüfft sah Costis tatsächlich einen Weinschlauch schwingen, als der König zur nächsten Zinne sprang.
»Das geht mich nichts an«, beharrte er dennoch genauso freimütig.
»Mich aber«, sagte Aris und packte ihn beim Arm. »Ich habe Wachdienst. Wenn er stürzt, werde ich dafür gehängt, Costis. Bitte.«
Costis sagte nichts.
»Wir werden alle dafür gehängt«, sagte Hilarion. »Ich weiß, warum du nichts damit zu tun haben willst. Du schuldest uns ganz sicher keinen Gefallen, aber eines schwöre ich bei meiner Ehre, Costis: Nenn uns deinen Preis, und wir zahlen ihn, wenn du ihn von dieser Mauer herunterbekommen kannst.«
Costis näherte sich dem König langsam und achtete darauf, bei jedem Schritt ein wenig zu schlurfen. Er wollte den König
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