Der Gebieter
König auf dem Übungsplatz niedergestreckt
hatte. Das war ein anderer Soldat gewesen, ein einfältiger, der keine Vorstellung davon gehabt hatte, wie kompliziert das Leben werden konnte.
»Heute Nacht«, sagte der König, »bin ich wirklich viel zum Nachdenken gekommen – trotz meines Gefolges.«
»Dient der Wein dazu? Euch beim Nachdenken zu helfen?«
»Oh, der Wein. Der Wein, Costis, dient dazu, mir zu helfen, die Wahrheit zu verdrängen. Er hilft nicht. Er hat auch noch nie geholfen, aber ich versuche es dennoch dann und wann, nur für den Fall, dass sich etwas an der Natur des Weins geändert hat.«
»Die Wahrheit, Euer Majestät?«
Der König sah ihn mit zur Seite geneigtem Kopf an. »Ich werde sie dir nicht sagen, Costis, du Dummkopf. Vergiss nicht, dass ich sie zu begraben versuche! Sie vor mir selbst zu verbergen, vor den Göttern. Weil es die Götter entsetzlich beleidigen könnte, wenn man einfach die Belohnung ablehnt, die sie für einen bereitgestellt haben. Wenn man die Belohnungen der Götter ablehnen will, muss man sehr vorsichtig vorgehen, Costis.« Er schwenkte mahnend einen Finger. »Man darf sie nicht wissen lassen, dass man es verabscheut, jede Minute am Tag von Leuten umgeben zu sein, die finden, dass man sich wie ein König verhalten sollte, und dass man es beim besten Willen nicht noch einen Tag lang aushält, salbadernden Dummköpfen zuzuhören, die einem erzählen, was für ein Glück man doch hat, während ein Mann, den man hasst, sich jenseits der Schwarzen Meerenge totlacht und man verdammt noch mal nichts dagegen tun kann, weil man in dem einzigen Desaster festsitzt, in das man sich selbst je hineingeritten hat, ohne irgendeinen Ausweg finden zu können.« Er wandte sich um und ging wieder die Mauerkrone entlang. Er wankte nicht, landete aber mit einem steifbeinigen Ruck auf der nächsten Zinne. Über die Schulter fuhr er fort: »Weißt du, dass ich hier zum ersten Mal in einer Klemme
stecke, aus der ich nicht wieder hinausfinde?« Er lachte bitter. »Weil ich nicht hinauswill, Costis. Ich habe Angst, dass sie es mir wegnehmen könnten, wenn sie wüssten, wie sehr ich es verabscheue.« Dann hielt er inne, als sei ihm gerade erst bewusst geworden, was er gesagt hatte – was er alles laut zugegeben hatte. »Oh mein Gott«, sagte er, »der Wein tut doch nicht etwa seine Wirkung?«
Er drehte sich wieder zu Costis um, aber der Schwung trug ihn weiter. Er machte mehrere wackelige Schritte rückwärts. Dann weiteten sich seine Augen, und Costis konnte im schwachen Licht das Weiße darin sehen. Statt sich wieder zu fangen, taumelte der König weiter zurück. Ein Fuß trat ins Leere. Der König streckte die Hand aus, bekam nichts zu fassen und hing – obwohl das unmöglich war – weiter da, einfach in der Luft.
»Mein Gott«, flüsterte der König; es war kein Gebet.
Und Costis hörte, so klar, wie er den König hatte sprechen hören, eine andere Stimme. »Geh ins Bett«, sagte sie.
Dann fiel der König auf Costis zu, und Costis warf den Weinschlauch von sich, um ihn aufzufangen. Als die Füße des Königs auf den Wehrgang trafen, brachen die Knie unter ihm ein, und Costis hielt ihn fest, obwohl ihm selbst die Knie weich geworden waren. Er wusste nicht, wer von ihnen beiden mehr zitterte. Der König sog die Luft ein, holte immer wieder Atem und hielt ihn an. Costis erinnerte sich daran, wie der Arzt seine Wunde genäht hatte, aber dies hier waren eher die zischenden Atemstöße eines Mannes, der sich gerade geschnitten hat oder so dumm gewesen war, einen heißen Eisengriff anzufassen und sich daran die Finger zu verbrennen. Als der König sich schließlich aufrichtete, ließ Costis ihn nicht los, und der König entzog sich ihm nicht. Er stand mit gesenktem Kopf, die Hand auf Costis’ Schulter gelegt, vor ihm, bis sein Zittern nachließ. Dann lachte er ein wenig und schüttelte den Kopf.
Er stieß Costis von sich und stolperte auf seine wartenden Kammerherren zu.
Costis bemühte sich zu glauben, dass er nicht gesehen hatte, was er gesehen hatte, und nicht gehört hatte, was er gehört hatte; er folgte ihm und sagte sich, dass es nicht wahr war, dass er selbst, der König und sogar der Stein unter ihren Füßen nichts als dünner, durchscheinender Stoff waren, dass sich nicht für diesen einen Moment das einzig Wahre im Universum dort neben dem König auf der Mauerkrone befunden hatte.
»Ich beginne zu spüren, dass den Berichten der Dichter ein gewisser Hauch von Trug
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