Der Gebieter
nicht erschrecken.
»Costis«, sagte Eugenides, ohne sich umzudrehen. »Mir hätte klar sein sollen, dass sie dich aus dem Bett zerren würden. Entschuldige bitte.«
Er wandte sich mit einem leichten Taumeln um, bei dem Costis das Herz in die Hose rutschte.
Mit gesenktem Kopf ging der König die Zinne entlang und ließ den Weinschlauch an dem Lederriemen, der an der Tülle befestigt war, herunterbaumeln. Costis lief neben ihm her.
»Euer Majestät, bitte kommt herunter«, sagte Costis eilig. Der König hatte fast das Ende der Zinne erreicht, und er hatte Angst vor dem, was geschehen würde, wenn er dort ankam.
»Warum? Costis, ich falle schon nicht runter.«
»Ihr seid betrunken.«
»So betrunken nun auch wieder nicht«, sagte der König. »Sieh her.« Er warf Costis den Weinschlauch zu; dieser fing ihn auf und umklammerte ihn entsetzt, als der König sich auf den Kopf stellte und auf einer Hand auf dem schmalen Steingrat balancierte.
»Oh mein Gott«, sagte Costis.
»Oh mein Gott«, sagte der König fröhlich. »Du willst doch sicher den Gott anrufen, der dieser Lage angemessen ist. Dein Gott ist wahrscheinlich Miras, der für Licht und Pfeile und all so etwas zuständig ist, während mein Gott ein Gott des Gleichgewichts und – natürlich! – der Schutzgott der Diebe ist. Aber ich vermute, genau genommen bin ich keiner.« Er richtete sich wieder auf. »Vielleicht sollte ich das Schicksal nicht herausfordern«, sagte er.
»Ich wünschte, Ihr tätet es nicht«, sagte Costis schwach. »Euer Gott könnte beleidigt sein.«
»Costis, mein Gott ist keiner, den zehn von zwölf durchschnittlichen Gläubigen verehren, der an jeder Ecke einen Priester hat und dem seine Jünger keine Ruhe lassen. Er behält mich sehr genau im Auge, und was für dich äußerst töricht wirken mag, ist nur ein Ausdruck meines Glaubens. Gib mir meinen Wein zurück.«
Costis besann sich darauf, wie der Cousin des Königs mit ihm umgesprungen war, und hielt ihm den Weinschlauch hin. Der
König griff danach, ahnte aber Costis’ Absichten und zog die Hand zurück, bevor Costis ihn packen und in Sicherheit zerren konnte. Der König lachte wie ein kleiner Junge und ließ die Arme wie Windmühlenflügel wirbeln, um das Gleichgewicht zu halten.
»Costis«, sagte er mit gespielter Enttäuschung, »du schummelst.«
»Ich weiß nicht, was Ihr damit meint, Herr.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich dir vertraue.«
»Ihr könnt mir Euer Leben anvertrauen, mein König.«
»Aber offenbar nicht meinen Wein. Gib ihn mir zurück.«
»Kommt herunter und zwingt mich dazu.«
Der König lachte erneut. »Aulus wäre ja so stolz auf dich – und Ornon auch. Du lernst schnell.«
Aber Costis war kein solcher Koloss wie Aulus und hatte auch keine gemeinsame Vergangenheit mit dem König; überdies hatte Aulus es mit einem kranken, bettlägerigen Eugenides zu tun gehabt. All diese Vorteile hatte Costis nicht.
Der König lachte leise im Dunkeln, ein Laut voller Wärme, in den Costis einfach mit einfallen musste, obwohl er sich sofort über sich selbst und auch über den König ärgerte.
»Ich habe nachgedacht. Willst du wissen, worüber ich nachgedacht habe?«
»Nur, wenn Ihr daran denkt, herunterzukommen«, sagte Costis; seine Gereiztheit war ihm anzumerken.
»Zeigt sich da ein Sinn für Humor, Costis?«
»Ich habe keinen, Euer Majestät.«
»Dein Glück«, sagte der König. Er begann den Weg zurückzugehen, auf dem er gekommen war. Costis folgte ihm; er hielt noch immer den Weinschlauch umklammert.
»Euer Majestät, bitte kommt herunter. Mein Freund Aris ist wirklich ein sehr guter Mann, und wenn Ihr von dieser Mauer
fallt, wird er dafür gehängt, ebenso sein Trupp, dem auch größtenteils nette Kerle angehören, und obwohl ich nicht behaupten kann, dass es mir viel ausmachen würde, wenn Eure Kammerherren gehängt würden, gibt es sicher viele Leute, denen es durchaus etwas ausmachen würde – würdet Ihr also bitte, bitte herunterkommen?«
Der König sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. »Ich glaube nicht, dass ich dich je so viele Wörter auf einmal habe sagen hören. Du klangst beinahe wortgewandt. Ich habe über Nahuseresh nachgedacht«, kam er dann wieder auf sein Thema zurück. Er sah Costis über die Schulter an. »Weißt du, dass man einen Mann nicht mit einer Hand erwürgen kann?«, fragte er sehr ernst. »Wahrscheinlich habe ich deshalb nur eine einzige. Das schränkt die Möglichkeiten ein, die einem zu Gebote
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