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Der Gebieter

Der Gebieter

Titel: Der Gebieter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Whalen Turner
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anhaftet, Costis«, sagte der König über die Schulter. Seine Stimme zitterte fast nicht mehr. »Vielleicht hat jemand die Dichter belogen. Vielleicht liegt es nur an mir. Weißt du, was die Götter zu Ibykon gesagt haben, am Abend vor seiner Schlacht in Menara?«, fragte er. »Zumindest, was sie laut Archilochus gesagt haben sollen?«
    »Irgendetwas von wegen Mut«, sagte Costis mechanisch; er war mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, damit, sie nicht zu denken. Götter gehörten in Tempel und auf ferne Berggipfel oder sollten in den Wolken schweben. Es verletzte all seine Gefühle, dass er einen hatte sprechen hören.
    Der König rezitierte:
    Steh auf und töte. Wirf dich dem Feind entgegen!
    Steh pfeilgerade, wenn des Feindes Speer dumpf niedergeht.
    »Und an Roma gerichtet …«, zitierte der König weiter:
    Dir allein, Älteste, haben die Parzen
    die Herrschaft verlieh’n, unangreifbar.
    Die Zeit wandelt alles,
    nur eines nicht:
    Für dich allein
    dreht sich nicht der Wind,
    der die Segel der Herrschaft bläht.
    »Das ist von Melinno.«
    »Ich weiß«, sagte Costis. »Mein Hauslehrer hat mich einmal das ganze Gedicht auswendig lernen lassen.«
    »Kein ›Ruhm sei dein Lohn‹ für mich. Oh nein, für mich heißt es nur ›Hör auf zu jammern‹ und ›Geh ins Bett‹.« Er schnaubte. »Ich sollte es besser wissen. Ruf sie niemals an, Costis, wenn du nicht willst, dass sie wirklich erscheinen.«
     
    Sie hatten Aristogiton und das Knäuel aus Kammerherren erreicht, die besorgt auf sie warteten.
    »Ich glaube, ich gehe jetzt ins Bett«, teilte der König seinen Kammerherren sehr steif mit, als wollte er sie herausfordern, eine Bemerkung zu machen, was sie nicht taten. Die Hand noch immer auf Costis’ Schulter, begann er, die Treppe hinunterzugehen, stieß ihn leicht vorwärts und stützte sich zugleich auf ihn, um das Gleichgewicht zu halten. Er wirkte plötzlich sehr müde, aber er bewegte sich ohne Zögern vom breiteren Hauptgang des Palasts zu den schmaleren Fluren, die zu den königlichen Gemächern zurückführten. Seine Kammerherren und seine Wachen folgten in seinem Kielwasser.
    Sie erreichten ein Treppenhaus, das um einen Lichthof herum gebaut war. Der König ging treppauf. Ein Kammerherr hob die Hand, um etwas einzuwenden, ließ sie dann aber wieder sinken. Sie folgten ihm die Treppe hinauf zu einem Gang, der Costis irgendwie bekannt vorkam, obwohl er ihn erst erkannte, als sie ein winziges Schreibzimmer erreichten, durch das sie auf einen Balkon gelangten, der auf ein größeres Atrium hinausging.
    »Verdammt«, sagte der König und ließ den Blick über das Atrium schweifen.
    Die Kammerherren scharrten mit den Füßen. Sie feixten nicht. Sie wollten sich noch nicht einmal daran erinnern, dass sie früher je gefeixt hatten.
    »Nun, diesmal mache ich keinen Umweg«, sagte der König angewidert. »Ihr könnt aber gern den langen Weg nehmen.« Mit leidgeprüfter Miene fügte er hinzu: »Meinem Gott gehorsam, gehe ich direkt ins Bett.« Er setzte sich auf das Geländer, schwang beide Beine zugleich hinüber und ließ sich auf den Balken darunter fallen, bevor die Kammerherren ihn aufhalten konnten. Zu Costis, der zu spät nach ihm gegriffen hatte, sagte er: »Machst du dir Sorgen?«
    »Euer Majestät, Ihr seid gerade…«
    »Was?«, fragte der König boshaft.
    Nichts würde Costis dazu bringen, laut zu sagen, dass der König gerade beinahe von der Palastmauer gestürzt wäre und Costis gesehen hatte, wie er vom leibhaftigen Gott der Diebe gerettet worden war.
    Der König lächelte. »Ist dir die Zunge abhandengekommen?«
    »Euer Majestät, Ihr seid betrunken«, sagte Costis flehentlich.
    »Das bin ich. Welche Entschuldigung hast du?« Dafür, Götter zu hören und Unmögliches zu sehen. Der König lenkte ein. »Sicherheit ist eine Illusion, Costis. Ein Dieb kann jederzeit abstürzen, und irgendwann kommt unweigerlich der Tag, an dem der Gott es zulässt. Ob ich nun drei Stockwerke hoch auf einem Balken stehe oder drei Stufen hoch auf einer Treppe  – ich bin in den Händen meines Gottes. Er wird mich schützen, oder auch nicht, hier oder auf der Treppe.«
    Die Kammerherren warfen sich vergeblich an die Brüstung; der König war außer Reichweite. Er ignorierte sie und ging weiter den Balken entlang; er lehnte sich anmutig zur Seite, um den Streben auszuweichen, die diagonal vom Dach zu den Querbalken hinabführten.
    »Er ist verrückt«, murmelte jemand, »vollkommen verrückt.«
    Costis war sich

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