Der Gebieter
fertig.« Das bedeutete, dass die Audienz für heute beendet war. Alle weiteren Angelegenheiten würden aufgeschoben werden. Der Kämmerer verneigte sich und begann, den Saal zu räumen. Als der König aufstand, blieben alle dort stehen, wo sie waren, und verneigten sich respektvoll, während seine Wachen sich um ihn scharten und ihn eskortierten, als er ging. Costis warf einen einzigen Blick zurück und sah die Königin noch immer allein auf dem Thron sitzen, während der Raum sich leerte.
Nein , dachte Costis. Der König würde sich Relius’ Verhör nicht ansehen. Das hätte geheißen, in die unterirdischen Gelasse zurückzukehren, in denen Eugenides gefangen gehalten worden war und seine rechte Hand verloren hatte. Wenn er aussah, als ob ihm schlecht wäre – und er war so blass, dass er beinahe grün wirkte –, dann lag das, wie Costis glaubte, nicht an der Vorstellung, wie Relius leiden würde, sondern an der Erinnerung an seine eigenen Qualen.
Sie kehrten in die Gemächer des Königs zurück. Er blieb in der Wachstube stehen.
»Wie spät ist es?«, fragte er und fuhr sich wie gedankenverloren mit der Hand übers Gesicht. Er sah nicht einmal so aus, als ob er sich freute, dass es ihm gelungen war, Relius auszuschalten.
»Gleich halb, Euer Majestät.«
»Gut.« Als er in sein Schlafzimmer ging, griff er nach der Tür und wehrte seine Kammerherren mit dem Arm ab. »Klopft in einer Stunde«, sagte er. »Stört mich vorher nicht.«
Er schlug ihnen die Tür vor der Nase zu.
»Nun ja«, sagte Sejanus, »ich glaube, nicht einmal du bist nötig, wenn der König sich zurückzieht, um zu feixen, Costis.
Ich frage mich, warum er es nicht genauso macht, wenn er sich in seinem Loch verkriecht, um seine Wunden zu lecken. Das würde es uns ersparen, auf dem Flur herumzustehen.«
Costis nahm an, dass es wahrscheinlich daran lag, dass der König den Stuhl nicht selbst zurechtrücken wollte. Zudem wollte er vermutlich sichergehen, dass die Kammerherren seinen Befehl, ihn allein zu lassen, nicht missachten und einfach ins Zimmer spaziert kommen würden.
Costis zuckte zusammen, als er hörte, wie der Türriegel vorgelegt wurde. Er hatte gar nicht gewusst, dass es einen Riegel gab. Sejanus lachte über sein Erstaunen.
»Das macht er jede Nacht«, sagte er. »Ich glaube, unser kleiner König vertraut uns nicht. Wir müssen am nächsten Morgen anklopfen wie arme Okloi am Tempel und warten, bis er uns die Tür öffnet.«
Attolia kehrte in ihre Gemächer zurück und schickte ihre Kammerfrauen fort. Sie setzte sich ans Fenster und hörte, wie eine Tür absichtlich mit einem Klacken geschlossen wurde, aber es ertönte kein anderes Geräusch.
Sie dachte an Relius. Im ersten Jahr ihrer Herrschaft, als sie eine junge Königin gewesen war, die sich nur von ihrem Verstand hatte leiten lassen können und mit einem Bürgerkrieg hatte zurechtkommen müssen, hatten ihre Gardisten Relius dabei ertappt, wie er ihr nachspioniert hatte, und ihn unter einem Wagen hervorgezerrt. Sie hatten ihn gefragt, wer sein Herr sei, und er hatte geantwortet: »Niemand.« Ganz allein hatte er einen Blick auf die Königin erhaschen wollen. Relius hatte in schlammbespritzten Kleidern als unehelicher Sohn eines Verwalters vor ihr gestanden und ihr seine Dienste angetragen. Er hatte ihr alles angeboten, was sie über ihre Feinde hatte wissen müssen. Er hatte sie die Kunst der Manipulation und Intrige
gelehrt, ihr beigebracht, Menschen als Werkzeuge und Waffen einzusetzen und in einer Welt zu überleben, in der kein Platz für Vertrauen war. Vertraut nie jemandem , war seine erste und wichtigste Lehre gewesen.
»Nicht einmal Euch?«, hatte sie gelacht, damals, als sie noch gelegentlich gelacht hatte.
»Nicht einmal mir«, hatte er ihr ernst geantwortet.
Nur durch Schmerz kann man sicher die Wahrheit herausfinden , hatte er sie gelehrt, und sie musste die Wahrheit um jeden Preis erfahren. Ihre Nation stand auf dem Spiel.
Sie musste die Wahrheit erfahren.
Die Stille um sie herum war ein Geschenk, und sie flüchtete sich hinein. Für diese kurze Zeit musste sie sich nicht bewegen oder sprechen, sie musste nicht Wahrheit und Lügen in Relius’ Verrat entwirren, musste ihr Handeln oder Nichthandeln nicht rechtfertigen. Ihr König fand keine solche Zuflucht in der Ruhe. Er lief lieber auf und ab. Das hatte sie schon oft genug gesehen, hin und her, stumm wie eine Raubkatze im Käfig. Aber er konnte auch still sein, da er gleichermaßen geübt
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