Der Gebieter
irgendwann Hauptmann der Leibgarde werden« , bemerkte Aris.
»Das war, bevor mir klar war, was das bedeutet.«
»Was willst du denn jetzt?«
»Ich will einen Funken Selbstachtung zurückgewinnen. Das ist mittlerweile mein ganzer Ehrgeiz. Ich werde ihm von Susa erzählen, und wenn ich schon dabei bin, auch gleich von Sejanus, und vielleicht wird er mich dafür, wenn die Götter mir gnädig sind, in eine schöne Strafkolonie in Thrakien verbannen.«
Nachdem Costis sich entschlossen hatte, mit dem König zu sprechen, musste er auf die passende Gelegenheit warten. Er wagte es nicht, bei den morgendlichen Fechtübungen etwas zu sagen. Es waren zu viele Leute in der Nähe, die etwas hätten belauschen können. Er hatte vor, abzuwarten, bis der König seine Kammerherren das nächste Mal fortschickte. Er begann zu befürchten, dass der König sich zum letzten Mal allein in seine Gemächer zurückgezogen haben könnte, besonders, da er ja gezeigt hatte, dass er willens war, seine Kammerherren ganz auszusperren, wenn er ungestört sein wollte. Außerdem schien er, als er Erondites den Jüngeren auf seine Seite gezogen hatte, eine neue Möglichkeit entdeckt zu haben, sich ein wenig Privatsphäre zu verschaffen. Zwischen seinen Terminen ging er manchmal im Garten spazieren. An Tagen, an denen zu erwarten stand, dass der König zwischen seinen Verpflichtungen Zeit dafür finden würde, wurden die Gärten geräumt. Der König konnte die Wachen an verschiedenen Stellen postieren und dann allein zwischen ihnen spazieren gehen.
Jeden Tag rang Costis mit sich, ob er den König am Morgen bei den Waffenübungen ansprechen sollte, hielt sich aber aus gequälter Unentschlossenheit heraus zurück. Wie er Aris erzählte, war der Übungsplatz einfach nicht der rechte Ort für ein Gespräch unter vier Augen. Er hätte dem König bedeuten können, dass er ihn allein sprechen musste, aber er wusste schon von seinem letzten Versuch, beim Fechten mit ihm zu sprechen, dass der König nicht mitspielen würde. Es war weit wahrscheinlicher, dass er den Augenblick in eine Szene aus einer Farce verwandeln, die Aufmerksamkeit aller Leute in Hörweite auf sich ziehen und im Zuge dessen vielleicht Sejanus warnen würde. Costis wartete.
Ornon wartete ebenfalls und war besorgt. Relius war gestürzt. In der Archivbehörde herrschte Durcheinander. Der König sprach
kaum mit seinen Baronen. Er hielt sich für immer längere Zeitspannen vom Hofe fern und redete kaum jemals öffentlich mit der Königin, obwohl Ornon zu Ohren kam, dass Eugenides beim Frühstück immer noch Anspruch auf einen besitzergreifenden Kuss erhob.
»Euer Majestät.« Sejanus musste die Anrede wiederholen, bevor der König seine Gedanken endlich wieder auf die anstehenden Angelegenheiten richtete.
»Was?«
»Es tut mir sehr leid, Euer Majestät, aber die blaue Schärpe scheint ebenfalls Tintenflecken zu haben.«
»Macht nichts«, sagte der König. »Bringt mir einfach …«
Ja, was? , dachte Costis. Wenn der König aufgab und »Bringt mir eine Schärpe, irgendeine Schärpe« sagte, dann würden die Kammerherren ihm eine bringen, die nicht zu Stil oder Farbe seines Mantels passte. Wenn er sich für eine bestimmte Schärpe entschied, dann würden sie wieder behaupten, dass sie mit Tinte befleckt oder zum Reinigen geschickt worden sei. Das konnte den ganzen Morgen so weitergehen, und der König war bereits überfällig; all seine Kammerherren standen in Posen geheuchelter Unterwürfigkeit herum, und Sejanus war sichtlich selbstzufrieden.
»Bringt mir alle Schärpen, die nicht fleckig, schmutzig oder sonst in irgendeiner Form misshandelt sind«, sagte der König matt. »Dann suche ich mir eine aus.«
Das war eine Lösung. Der König wirkte müde; er triumphierte nicht. Die Kammerherren zogen sich zurück und rechneten aus, wie viel Zeit sie noch damit vergeuden konnten, die Schärpen aus der Kleiderkammer zu holen und zum König zu bringen, die unpassendste zuerst, bis dann fast alle Schärpen, die
der König besaß, auf dem Bett ausgebreitet lagen oder auf Möbelstücken überall im Zimmer verteilt waren.
Schließlich war der König angekleidet und zum Aufbruch bereit. Er und sein Gefolge waren auf dem Weg in den Hephestia-Tempel. Es hatten keine morgendlichen Waffenübungen stattgefunden, und das Frühstück mit der Königin würde ebenfalls ausfallen. Der heutige Tag hatte Symbolcharakter: Der König würde den neuen Tempel aufsuchen, der auf der Akropolis
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