Der Gebieter
über dem Palast noch im Bau befindlich war. Nach allem, was man hörte, hatte die Große Göttin, als Eugenides sie das letzte Mal angerufen hatte, geantwortet, indem sie die Fenster im gesamten Palast hatte zersplittern lassen. Costis nahm an, dass der Sturm am selben Tag nur ein Zufall gewesen war, aber es machte einen doch nachdenklich, und er hoffte, dass der heutige Tempelbesuch keine solche Reaktion herausfordern würde.
Sie verließen den Palast durch das Tor in der Nähe der Stallungen und stiegen zu Fuß die Heilige Straße hinauf. Der neue Hephestia-Tempel wurde auf dem errichtet, was von den Grundmauern des ehemaligen Megarons übrig war. Der König und die Königin hatten hier an einem provisorischen Altar geheiratet. Seitdem waren bereits die Wände eines Naos aufgeschichtet und vorläufig mit Reet überdacht worden. Die übrigen Fundamente lagen offen, da von dem früheren Gebäude nur die Grundmauern übrig waren, hier und da noch von Mosaiken im Schachbrettmuster bedeckt. Auf ihnen ruhten ungeordnete Steinhaufen, die dazu dienen würden, das Fundament zu vergrößern, bevor die Säulen, die in Einzelteilen daneben lagen, aufgerichtet werden konnten. Der König suchte sich einen Weg zwischen den Steinhaufen hindurch und ging auf die Tür des Naos und die Priesterin zu, die dort auf ihn wartete.
»Hier endet Eure Reise, Euer Majestät.«
»Ich suche eine Antwort, die die Große Göttin mir geben kann, und bin hier, um mit ihrer Seherin zu sprechen.«
»Sie kennt Eure Frage und die Antwort darauf.«
»Ich habe die Frage noch nicht abgegeben.« Der König hielt ein gefaltetes Blatt Papier in der Hand.
»Sie kennt sie«, wiederholte die Priesterin.
Der König versuchte, sich vorbeizudrängen. »Dann kann sie mir auch die Antwort sagen.«
Die Priesterin streckte den Arm aus, so dass er gezwungen war, stehen zu bleiben. »Das wird sie nicht.«
»Dann werde ich die Große Göttin selbst fragen.«
»Das dürft Ihr nicht.«
»Ihr glaubt, Euch zwischen mich und die Große Göttin stellen zu können?«
»Keiner von uns kann von der Göttin getrennt werden«, sagte die Priesterin, hielt aber weiter den Arm erhoben. Costis fragte sich, ob es zu Handgreiflichkeiten kommen würde, und, wenn ja, was er tun sollte. Dem König helfen, gewaltsam in einen Tempel einzudringen? Zusehen, wie der König von der Priesterin vom Tempelfundament gestoßen wurde?
Zu seinem Glück ertönte eine befehlsgewohnte Stimme aus dem Innern des Naos. Die Seherin selbst trat aus der Dunkelheit in die Tür. Sie war ausgesprochen fett und in einen grellgrünen Peplos gehüllt, der vor dem dunklen Innenraum hinter ihr geradezu zu leuchten schien. Ihre fleischigen Finger entwanden dem König das Papier. Sie öffnete es und riss es entzwei, ohne es zu lesen oder auch nur anzusehen. Dann reichte sie eine Hälfte dem König zurück.
Eugenides blickte auf das Papier in seiner Hand hinab. Die Männer hinter ihm reckten die Hälse, um etwas zu sehen. Es war nichts bis auf die Unterschrift des Königs übrig, mit der linken
Hand in Blockbuchstaben geschrieben: ATTOLIS, ganz unten auf der Seite.
»Eure Antwort«, sagte die Priesterin.
Der König knüllte das Papier mit der Faust zusammen und warf es auf den Boden. Wortlos schritt er von der Tür weg über die offen liegenden Grundmauern des Tempels und sprang über eine Baugrube auf den festen Boden, ohne sich noch einmal umzusehen. Seine Wachen und Kammerherren folgten ihm hastig. Sie tauschten Blicke und rollten die Augen, mussten aber schulterzuckend ihre Schritte beschleunigen, um ihn einzuholen. Es war offensichtlich, dass das Orakel den König an einem Morgen stärker hatte erschüttern können, als es Sejanus im Laufe mehrerer Monate gelungen war. Eugenides wurde nicht langsamer und sah sich den gesamten Weg die Heilige Straße hinunter zum Palast und dann von den Palasttoren zu seinen Gemächern kein einziges Mal um; er stürmte in solch rasendem Zorn hinein, dass die Wachen, die dort auf Posten standen, ruckartig Haltung annahmen.
In seiner Wachstube drehte er sich schließlich um, um seine Kammerherren anzusehen, und fuhr sie an: »Raus.«
Immer noch überrascht und verwirrt von dem Vorfall am Tempel zogen sich die Kammerherren widerspruchslos zurück. Der König wies auf Costis und dann auf die Tür zum Gang und schritt ins Schlafzimmer. Costis schloss leise die Tür zum Gang und folgte dem König, um den Sessel ans Fenster zu rücken. Der König ließ sich hineinfallen,
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