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Der Gebirgspass

Der Gebirgspass

Titel: Der Gebirgspass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirill Bulytschow
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löste sich im grauen Dunst auf, als würde ein Spaßvogel einen Luftballon zu sich heranziehen.
„Ich weiß ja nicht“, sagte Thomas, „so was hab ich früher nicht bemerkt.“
„Wir müssen am Feuer Wache halten“, sagte Dick.
„Ich hab kein bißchen Lust zu schlafen“, sagte Oleg.
„Jetzt eine gute Pistole“, sagte Thomas, „eine wirklich gute, eine automatische.“
„In fünf Minuten ist das Essen fertig“, sagte Marjana. „Eine schmackhafte Suppe. Tante Luisa hat lauter weiße Pilze für uns ausgesucht, wirklich nett.“
Ganz weit weg klatschte etwas zu Boden, dann war das leichte Getrappel zahlreicher Füße und Gemecker zu hören. Ein vielstimmiges, verzweifeltes Gemecker.
Marjana sprang auf die Beine. „Das sind Ziegenböcke!“
„Deinen haben sie schon gefressen“, sagte Dick. „Wer die wohl jagt?“
„Ein giftiger Elefant“, sagte, unerwartet für sich selbst, Thomas.
„Wer?“ fragte Marjana erstaunt.
Dick lachte. „Gut, so werden wir ihn nennen“, sagte er.
Das Gemecker ging in einen hohen Schrei über, einen Kinderschrei. Danach war alles still. Dann wieder Getrappel.
„Ich glaube, die kommen aus dem weißen Pilz“, sagte Oleg.
„Wer?“ fragte Dick.
„Die giftigen Elefanten.“
„Das sind böse Geister“, sagte Marjana, „Kristina hat immer davon erzählt.“
„Böse Geister gibt es nicht“, sagte Oleg.
„Geh nur ein Stück tiefer rein in den Wald“, sagte Dick.
„Ruhe jetzt“, befahl Thomas.
Ganz dicht jagten die Ziegenböcke vorbei, hinter ihnen, weich und selten auftretend, der Verfolger. Die kleine Menschengruppe verschanzte sich hinter dem Feuer, das sich jetzt zwischen ihnen und dem Zeltvorhang befand. Sie hielten die Waffen im Anschlag. Unbekannte Tiere flößten stets Furcht weil man ihr Verhalten nicht kannte.
Der Vorhang wurde zur Seite gerissen, in seiner ganzen Länge aufgeschlitzt, und in die Höhle stürmte ein grünes behaartes Wesen von der Größe eines Menschen, nur viel runder, vierbeinig und mit einem knochigen Rückenkamm, der aus dem Fell ragte wie eine Hügelkette aus dem Wald.
Das Tier zitterte leise am ganzen Körper. Seine kleinen roten Augen blickten stumpfsinnig und verloren.
Dick legte schon die Armbrust an, es sollte ein Todesschuß werden. „Halt“, rief Marjana, „das ist doch ein Ziegenbock!“
„Genau“, flüsterte Dick, ohne sich von der Stelle zu rühren, nicht einmal die Lippen bewegte er dabei, „das da ist Fleisch.“

    Aber Marjana ging bereits, einen Bogen um das Feuer machend, auf das Tier zu.
„So warte doch“, Thomas wollte sie zurückhalten, aber das Mädchen schüttelte seine Hand ab.
„Das ist mein Ziegenbock“, sagte sie.
„Deiner hat schon längst das Zeitliche gesegnet“, erwiderte Dick, ließ jedoch die Hand mit der Armbrust sinken. Sie hatten noch Fleischvorräte, und einfach so zu töten widerstrebte ihm. Die Jäger erlegten nur das, was sie forttragen konnten.
Der Ziegenbock begann langsam zurückzuweichen. Dann erstarrte er reglos. Offenbar war das, was ihn draußen erwartete, schlimmer als Marjana. Das Mädchen bückte sich, holte schnell einen schmackhaften Trockenpilz aus dem Sack und hielt ihn dem Ziegenbock hin. Das Tier seufzte, schnupperte, riß seinen nilpferdartigen Rachen auf und schnurpste das Geschenk gehorsam auf.
    Die erste Wache übernahm Oleg. Der Ziegenbock machte keine Anstalten, seinen Zufluchtsort zu verlassen. Er quetschte sich an die Wand, als wollte er eins werden mit ihr, sah Oleg unverwandt mit einem Auge an und seufzte von Zeit zu Zeit geräuschvoll auf. Dann begann er sich an der Wand zu reiben.
    „Du setzt uns noch Flöhe her“, sagte Oleg. „Steh still, oder ich jag dich raus.“
Der aufmerksame, reglose Blick des Tieres erweckte den Eindruck, als höre es zu und verstehe ihn, in Wirklichkeit jedoch lauschte es nur nach draußen.
Oleg, das niederbrennende Feuer beobachtend, nickte unmerklich ein. Er glaubte eindeutig wach zu sein, die blauen Funken über den Holzscheiten aufsteigen zu sehn, die einen Reigen bildeten und tanzten. Doch plötzlich stieß der Ziegenbock ein erschrockenes Meckern aus und begann mit den Hufen zu scharren. Oleg fuhr hoch, begriff nicht gleich, wo er sich befand, und brauchte ein, zwei Sekunden, ehe ihm bewußt wurde, daß der Bock nicht mehr an seinem früheren Platz stand, sondern ins Innere der Höhle gesprungen war. Durch das Loch im Vorhang aber kroch langsam eine graue, blasenschlagende Masse, ergoß sich wie Teig in die Höhle.

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