Der Gebirgspass
Hause zurück“, sagte Oleg leise und begriff plötzlich, daß die Kugeln auf ihn zuglitten, viel schneller, als das bei der Gleichmäßigkeit ihrer Bewegung scheinen mochte. Oleg trat den Rückzug an, die Kugeln aber rollten, wieder nacheinander, auf die federnde Oberfläche des Pilzes zu und begaben sich in Richtung Zentrum, zu den geöffneten Blütenblättern. Da plumpste auch schon, sie weich zerteilend, die erste Kugel in die Tiefe, nach ihr die zweite, die dritte, nur die vierte verweilte noch für eine Sekunde oben, als wollte sie sich vergewissern, daß ringsumher alles in Ordnung sei. Dann verschwand auch sie, und die Blütenblätter schossen sich langsam und zufrieden wieder. Die Oberfläche des Pilzes glättete sich und war nun nichts weiter als ein runder Schneefleck, ein kleiner zugefrorener See.
Oleg blieb noch etwas stehen, überlegte, wie er einen dieser „Elefanten“ fangen könnte. Aus seiner Haut könnte er einen richtigen Ballon fertigen. Doch nein, diese Kugeln würden sich nicht ergreifen lassen.
Oleg fröstelte. Von Westen, wohin ihr Weg sie führte, kam jäh ein eisiger, durchdringender Wind, verbrannte ihm Gesicht und Hände. Erinnerte ihn an das, was sie erwartete. Doch nicht das erschreckte ihn plötzlich, sondern der Gedanke, sie könnten, wie schon ihre Vorgänger, den Gebirgspaß nicht bezwingen. Dick würde sich nur freuen — er könnte in seine geliebte Steppe zurückkehren. Marjana würde sich mit den neuen Gräsern und Pilzen trösten, die sie fand. Thomas war an Unglück gewöhnt und glaubte nicht so recht an den Erfolg. Am schwersten würde es für ihn, Oleg, sein. Und für den Alten.
Sie marschierten den ganzen Tag über offenes Gelände, stießen nur hin und wieder auf niedriges Buschwerk. In dieser Gegend herrschte Ödnis, dafür aber lief es sich gut, so daß sie nicht zu sehr ermüdeten. Thomas sagte, sie hätten die Zeit günstig gewählt. Der Sommer fiel in diesem Jahr warm aus, voriges Mal hatte hier bereits Schnee gelegen. Dick langweilte sich, er entfernte sich wie ein Grashüpfer mal hierhin, mal dorthin, um nach einer halben Stunde ohne Beute und enttäuscht zurückzukehren.
Der Ziegenbock aber hatte insofern Glück, als er sich ausgerechnet in Dicks Abwesenheit einfand. Andernfalls, daran zweifelte Oleg nicht im geringsten, hätte Dick ihn glattweg erlegt. Es war derselbe Ziegenbock, und er sprang mit solchem Lärm aus dem Gebüsch, als handle sich’s um eine ganze Bärenfamilie — die Leute empfingen ihn mit der Armbrust im Anschlag. Doch dann erkannten sie ihn. Das gewaltige behaarte Tier, in Kammhöhe größer als Oleg, schrie laut vor Freude, als es seine Freunde wiedertraf. Es rannte, das schwere Hinterteil hochwerfend, so daß die knöchernen Platten auf seinem Rücken klapperten, mit betäubendem Gemecker um sie herum.
Danach entfernte sich der Bock keinen Schritt mehr von ihnen. Selbst über Dick freute er sich — er hatte ihn bereits auf einen Kilometer Entfernung gewittert. Von da an ging er in der Mitte der Gruppe, weigerte sich, einen Platz an der Seite oder hinten einzunehmen und geriet den Leuten dauernd zwischen die Beine. Oleg glaubte, das Tier würde ihm mit seinen scharfen Hufen jeden Augenblick auf die Füße treten, doch es war taktvoller als bei der ersten Begegnung, brachte es in letzter Sekunde immer wieder fertig, seine Hufe wegzuziehn.
Gehör und Witterung waren bei ihm fabelhaft entwickelt. Er spürte die Anwesenheit beliebiger Lebewesen auf viele Meter, und gegen Abend bereits behauptete Marjana, den Sinn seiner Lautäußerungen deuten zu können: Wann zum Beispiel eine Lichtung mit schmackhaften Pilzen vor ihnen lag und wann es galt vorsichtig zu sein, weil ihnen Räuberlianen unter die Füße geraten konnten.
Lange vor Dunkelwerden machten sie am Rande des Plateaus zur Nachtruhe halt. Danach würde der Aufstieg beginnen, und Thomas sagte, sie müßten am Morgen die Mündung des Gebirgsbachs ausfindig machen, das Hochtal entlangwandern, bis es sich verengte und zur Schlucht wurde. Der Weg durch diese Schlucht würde dann mindestens zwei Tage in Anspruch nehmen.
Hier am Plateau gab es weder eine Höhle noch sonst eine Unterschlupfmöglichkeit, und so schliefen sie im Zelt, was dem Ziegenbock gar nicht gefiel. Obwohl in dieser Nacht keinerlei Gefahr auf sie lauerte, forderte er, daß man ihn ins Warme ließ. Schließlich drängte er sich fast mit Gewalt ins Zelt und trat allen schmerzhaft auf die Beine. Zwar schimpften die
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