Der Gebirgspass
stimmte Thomas zu.
Oleg setzte sich auf. „Was ist denn zu tun?“ fragte „Wenn’s nötig ist, tu ich’s immer.“
„Augenblick, Thomas“, ließ sich Marjana vernehmen, „ich mach das Essen selbst. Du weißt sowieso nicht, wieviel Pilze rein müssen.“
„Ich hatte das Gefühl“, sagte Dick unvermittelt, „daß uns jemand gefolgt ist.“
„Was denn, du auch?“ fragte Oleg.
In diesem Augenblick hörten sie schwere Tritte an der Tür. Dick stürzte zur Armbrust, Thomas beugte sich zum Feuer, bereit, ein brennendes Scheit zu greifen. Die Schritte verstummten, und es wurde ganz still. Man vernahm nur hin und wieder Regentropfen vom Vordach am Zelteingang in die Höhle fallen.
„Da haben wir’s ja grade noch geschafft“, sagte Marjana.
„Still doch!“
Aber hinter dem glänzenden Vorhang aus Fischhaut, auf dem der Widerschein des Feuers tanzte, regte sich nichts.
Dick, den Speer im Anschlag, ging zum Zeltvorhang, bog vorsichtig eine Ecke beiseite und schaute hinaus.
Oleg betrachtete seinen breiten, angespannten Rücken und wartete. Er hätte gleichfalls zum Speer greifen müssen … Aber da war ja das Feuer, und die Jagd Dicks Angelegenheit.
Oleg erkannte das Ungerechte seiner Überlegung sehr wohl, doch er mußte so denken — seine Aufgabe bestand in anderen Dingen. Er mußte sein Augenmerk auf Fragen richten, die für die übrigen uninteressant waren. Der Alte setzte seine Hoffnung auf ihn. Viel schlimmer war es da schon, nicht zu wissen, ob man diese Hoffnungen auch erfüllte, um so mehr als sie für den Alten mit den Jahren offenbar immer mehr verblaßten, ihre Realisierung immer illusorischer wurde.
Marjana machte sich am Feuer zu schaffen, sortierte Pilze und getrocknete gesalzene Beeren. Sie kochte beides stets getrennt und verrührte es dann. Sie kniete, die Jackenärmel hochgekrempelt; ihre mageren Arme waren voller Schrammen und Narben. Oleg stellte fest, daß Marjana hübsche Arme hatte. Die Schrammen — nun gut, die hatte jeder, das war eine Lappalie.
Thomas betrachtete gleichfalls die flinken Hände Marjanas, beobachtete, wie sich das Mädchen in ihr Ritual vertiefte, das für ihn, den Zugewanderten, keinen Sinn besaß. Er sah die Narben auf ihren Armen, den Preis, den der Wald für die Wissensvermittlung nahm, und er dachte an den Abgrund, der sich in der Gestalt der Siedlung unaufhaltsam zwischen ihm und diesen Halbwüchsigen auftat, diesen Wilden, die gleich wunderbar auf dem Steinfußboden einschlafen würden, ohne sich zuzudecken und die nasse, durchdringende Kälte zu spüren. Der Geruch dieser pflanzenartigen Tintenfische, die sie Pilze nannten, war ihnen kein bißchen widerwärtig, sie hatten sich an ihn gewöhnt … Übrigens rochen hier auch die Kinder anders als zu Hause. Sogar seine eigenen. Selbst die kleine Ruth mit ihren acht Jahren würde sich, sollte es sie in den Wald verschlagen, wahrscheinlich behaupten, zumindest würde sie nicht verhungern. Der Wald war zwar ein gefährlicher, hinterhältiger Ort, doch er gehörte dazu. Und wenn er Thomas Hind, Mensch in diesem Wald war, so waren die Kinder kleine Rentiere, Hasen und sogar Wölfe — nicht eben die stärksten, dafür aber schlauer als viele andere, sie würden nicht zugrunde gehen.
Marjana biß in einen verdächtigen Pilz, quiekte, schleuderte ihn beiseite. Was soll’s, dachte Thomas, die Pilze hier sind alle miteinander das reinste Giftzeug. Wieder tappte jemand schweren Schritts vorüber, wobei er fast den halbdurchsichtigen Vorhang streifte. Diese verdammten Nachtgespenster! Das müssen die Elefanten sein, überlegte Thomas, sollte mich nicht wundern, wenn auch sie giftig sind … Die jungen Leute waren müde — obwohl, der Teufel mochte wissen, ob sie’s wirklich waren. Dick machte eher den Eindruck, als wäre er bereit, im nächsten Moment einem Schakal durchs Dickicht hinterherzujagen. Oleg war nicht ganz so stabil. Der Bursche ist nicht übel und auch nicht dumm, nur traktiert Boris ihn ganz umsonst mit seinen idealistischen Theorien. Die Siedlung muß überleben, darum geht es. Heute und auch morgen. Keine Ahnung, wann wir anfangen werden, Städte zu bauen und Satelliten hochzuschicken. In tausend Jahren? Aber auch für diesen Fall gilt es heute zu überleben.
Der Vorhang bewegte sich sacht, offenbar hatte der nächtliche Gast beschlossen, ihn herunterzureißen. Thomas kam Dick zuvor, er nahm ein schwelendes Holzscheit und schaute in die Dämmerung, in den Nebel hinaus. Ein dunkler Schatten glitt zurück,
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