Der Gedankenleser
gekommen. Und dann ist Martin auch noch krank geworden.
Gut, dass mir das gerade einfällt.
nichts Schlimmes, Magen-Darm, da musste ich ihn umsorgen und hatte große Angst, andere auch noch anzustecken.«
Eine Notlüge halt.
»Ich hoffe, er ist jetzt wieder fit!«
»Ja, bestens. Ich habe ihn gerade zum Flieger gebracht. Er muss für drei Monate nach Sri Lanka. Dann habe ich wieder sturmfreie Bude.« Und jetzt lachte Isabelle so lauthals, als hätte sie gerade einen ziemlich guten und deftigen Witz erzählt.
Ihr Lachen aber wurde übertönt von der Stimme:
Wenn du wüsstest. Und wenn du ahnen würdest, was alleine in deiner Anwesenheit schon alles passiert ist.
Ich lachte mit und sagte: »Sturmfreie Bude? Na, da habe ich bei dir aber keinerlei Bedenken. Und Martin wird es ebenso gehen.«
Martin ist zu blöd, sich so was vorzustellen.
»Ja, du hast wie immer Recht, Arne«, prustete sie heraus. »Und sollte ich mich je noch einmal verlieben, dann in eine Frau, aber das wird erst im nächsten Leben passieren. Ihr Kerle seid mir zu anstrengend, und Martin ist eh der Beste für mich.«
Ich lächelte, nickte und legte es geradezu darauf an, eine kurze Gesprächspause entstehen zu lassen. Ich wollte noch mehr von ihrem wahren Ich hören. Wie ein Gaffer am Unfallort stand ich vor Isabelle und wartete gebannt ab.
Ich nahm eine seltsame Farbmelange wahr, die ich später als Unsicherheit zu deuten vermochte.
Warum sagt er nichts? Alle haben doch behauptet, sein Kopf ist wieder völlig in Ordnung. Aber vielleicht stimmt das nicht. Irgendwie sieht er dämlich aus, wie er so dasteht. Er ist und bleibt ein Langweiler. Wie Anna es mit dem aushält? Aber die scheint ja nicht anders zu sein. Zwei Scheintote halt ...
»Wie geht's denn Anna?«, fragte sie dann in sehr freundlichem Ton.
»Danke, recht gut! Sie lässt übrigens schön grüßen.«
Stimmt im Leben nicht.
»Das ist nett! Bist du denn wieder rundherum fit?«
Ich machte erneut eine kurze Pause und räusperte mich, bevor ich antwortete.
Wo ist denn Lars? Kann ihn gar nicht sehen. Hoffentlich hat er heute sein sexy Hemd für mich angezogen. Wenn ich seine Brusthaare durch den Stoff sehe ...
»Ja, mir geht's bestens. Ich fühle mich kerngesund und sehr erholt!«
Oh super, erholt fühl ich mich nicht.
»Das freut mich! Komm, wir gucken mal, wo Lars ist. Hast du ihn schon gesehen?«
»Ja, klar!«
Wir gingen zusammen in unser Großraumbüro, wo sich Lars und Isabelle kollegial begrüßten.
Das erste Gespräch mit meinem Chef, Herrn Großbogenbelt, verlief ebenfalls ernüchternd, um nicht zu sagen schockierend. Ich hatte schon immer ein angespanntes Verhältnis zu ihm gehabt, kein feindseliges, aber ich war stets auf der Hut gewesen. Ich traute ihm nicht über den Weg. Zu oft hatte er mich und auch andere Kollegen belogen oder uns im Regen stehen lassen. Sein Wort war nicht einen Cent wert. Erst nach einem heftigen Streit, etwa fünf Jahre vor meinem Unfall, waren die Machtverhältnisse zwischen uns geklärt worden. Und das bedeutete, dass er mich zwar in Ruhe ließ, alle interessanten Aufgaben aber an andere vergab. Interviews mit hochrangigen Politikern zum Beispiel, Auslandsreisen oder Korrespondentenvertretungen in Paris, Washington, London oder Moskau. Hatte mich dies anfangs noch sehr geärgert, so arrangierte ich mich schnell damit und war froh, meine Ruhe zu haben. Die Spannungen und Streitereien hatten mir doch sehr zugesetzt.
Er war ein kleiner, gedrungener Mann, Mitte fünfzig, mit Halbglatze und Bierbauch. Niemand kam gern in seine unmittelbare Nähe, da aus seinem Mund seit Jahren schon ein ranzig-fauler Geruch quoll. Wobei das Wort Geruch eigentlich viel zu harmlos ist. Der Kerl stank aus dem Maul, als würde dort eine Ratte verwesen. Es war unerträglich. Ich fragte m ich immer, wie seine Frau das aushalten konnte. Ob sie ihn noch küsste? Gar ihre Zunge in seinen Mund schob? Und welche bestialische Ausdünstung mochte diese Kloake wohl am Morgen direkt nach dem Aufwachen haben? Ich wollte es mir gar nicht vorstellen.
Großbogenbelt hatte sich direkt neben mich an meinen Schreibtisch gesetzt. Zu meinem Entsetzen hustete er ein paarmal, ohne sich die Hand vor den Mund zu halten, und sofort war ich umwölkt von einem jaucheartigen Nebel.
»Also, Herr Stahl, da sind Sie ja wieder. Ich hoffe, dass Sie wieder ganz hergestellt sind!«
»Es ging mir nie
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