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Der Gedankenleser

Der Gedankenleser

Titel: Der Gedankenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Domian
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Dienstes allerdings waren wir immer eigene Wege gegangen. Das hatte ich auch nie bedauert. Und ich war sicher, Lars und Isabelle hatten es ebenso empfunden.
     

    Als ich kurz nach halb neun die Redaktion betrat, saß Lars bereits an seinem Schreibtisch. Ich ging lächelnd auf ihn zu, und auch er lächelte, aber noch ehe einer von uns etwas sagen konnte, meldete sich die Stimme :
     

    Schöne Scheiße. Jetzt muss ich mit Isabelle wieder Theater spielen, und er hängt uns auf der Pelle. Waren gute Wochen ohne ihn.
     

    Das war ein Schlag ins Gesicht. So dachte Lars? Und was meinte er mit »Theater spielen«?
    »Mensch, Junge, prima siehst du aus«, sagte er und umarmte mich, so wie Männer sich umarmen - als ginge es darum, einer ansteckenden Krankheit auszuweichen. »Wir haben dich hier vermisst, aber sensationell, wie du das alles überstanden hast!«
    »Ich freue mich auch, wieder hier zu sein«, log ich. »Was gibt's denn so Neues?«
    In diesem Moment kam ein anderer Kollege in den Raum und rief mir ein paar freundliche Worte zu, auf die ich allerdings nichts erwidern konnte, da ich zu sehr von der Stimme abgelenkt war.
     

    Ich hab jetzt keinen Bock auf Smalltalk. Ich muss mich mit dem Artikel beeilen, sonst schaff ich es nicht.
     

    »Ach, nichts Weltbewegendes. Der Chef hatte einen Blechschaden mit seinem Benz, die Kantine bietet jetzt auch Bio-Essen an, und Isabelle hat eine kleine Gehaltserhöhung bekommen«, sagte Lars. »Wie geht es Isabelle?«
     

    Sie fickt wie eine Sau.
     

    »Wie bitte?«, rutschte es mir heraus.
    Aber ich fing mich sofort wieder und sagte: »Wie bitte hat sie das denn geschafft, dem Alten eine Gehaltserhöhung abzuringen?«
    »Keine Ahnung. Ich war nicht dabei. Aber vermutlich hat sie ihn um den Finger gewickelt, du kennst ja unsere Bella. Und entsprechend gut ist sie drauf. Sie kommt heute übrigens etwas später, muss ihren Liebsten mal wieder zum Flughafen bringen.«
     

    Isabelle war seit fünfzehn Jahren verheiratet. Mit Martin, einem Ingenieur, der für eine große Hilfsorganisation arbeitete und immer wieder zu längeren Auslandseinsätzen abberufen wurde. Lars hingegen lebte allein, hatte aber schon seit längerem eine feste Freundin, Karoline, die ihn manchmal von der Arbeit abholte.
    Ich rang um Fassung. »Sie fickt wie eine Sau«, hatte Lars soeben über Isabelle gedacht. Das konnte ich nicht glauben. Die beiden hatten ein Verhältnis? Aber nie war mir auch nur das Geringste aufgefallen. Wie lange lief die Sache schon? Wir hatten in den vergangenen Jahren so gut wie jede Pause miteinander verbracht und unsere Köpfe tausendmal zusammengesteckt. Ich war vollkommen ahnungslos gewesen. Warum hatten sie mich nicht eingeweiht? Aus Angst vor Verrat? Aus Scham? Ich fühlte mich hintergangen und war gekränkt. Was sie mir wohl alles vorgegaukelt hatten? Wie viele heimliche Blicke waren an mir vorbeigegangen? Wie oft hatten sie mich vielleicht sogar als Alibi missbraucht? Ein Dritter im Bunde war ja die perfekte Tarnung.
    Und überhaupt, wie mochten sie hinter meinem Rücken über mich gesprochen haben?
     

    Als Isabelle in die Redaktion kam, war unsere Konferenz gerade zu Ende. Wir begegneten uns auf dem Flur. Ich wollte zur Toilette, sie stürmte aus dem Fahrstuhl und sah mich sofort.
     

    Oje!
     

    »Arne, mein Lieber! Ich habe schon gehört, dass du heute wieder da bist. Lass dich umarmen. Wie schön, dich zu sehen.«
    Sie umarmte mich sehr herzlich.
    »Was meinst du, wie sehr wir dich hier alle vermisst haben, besonders natürlich Lars und ich. Die Mittagspausen ohne dich haben einfach keinen Spaß gemacht!«
    Sie rieb mir den Rücken, so wie Frauen das bei Umarmungen häufig tun. Was sie damit zum Ausdruck bringen wollen, ist mir schleierhaft. Ich käme nie auf die Idee, jemandem während einer innigen Umarmung den Rücken zu massieren.
     

    Ich hätt ihn doch mal im Krankenhaus besuchen sollen, oder zu Hause.
     

    »Du hast eine neue Frisur«, sagte ich, nachdem ich mich diskret aus der Umklammerung befreit hatte.
    »Ja, Martin meinte, nach so vielen Jahren blond und lang wäre jetzt mal braun und kurz angesagt. Ich war mir nicht sicher und habe eine Weile überlegt, bis mein Friseur mir dann diesen Schnitt vorschlug. Martin ist hellauf begeistert.«
     

    Er hat abgenommen und guckt so komisch. Er wird von mir enttäuscht sein. Ja, ich hätte zumindest mal anrufen können.
     

    »Du kannst dir gar nicht vorstellen, Arne, was hier los war. Ich bin zu nichts

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