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Der Gedankenleser

Der Gedankenleser

Titel: Der Gedankenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Domian
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Ländern. Dachte an meine Hochzeit und an Annas grau gewordene Haare. Schämte mich für meine Lügen, meine Ungeduld, meine Trägheit - und erschrak tief bei der Erkenntnis, wie viel Zeit ich in all meinen Jahren schon verschwendet hatte.
     

    An diesem Nachmittag fällte ich die spektakulärste Entscheidung meines Lebens. Auf einer Landstraße, bei Tempo siebzig, untermalt von »Darlin' Companion«.
    Ich beschloss, zu kündigen, meinen Job an den Nagel zu hängen - und zunächst einmal gar nichts mehr zu tun. Mein Geld könnte für mehrere Jahre reichen. Ich hatte einiges zurückgelegt, und durch den Verkauf unserer Villa würde noch eine ordentliche Summe dazukommen.
    Endlich keine Routine mehr, kein fester Tagesablauf, keine Menschen mehr um mich herum, die mir zuwider waren.
    Freiheit.
    Die Entscheidung zu treffen fiel mir überhaupt nicht schwer. Ich wog nicht das Für und Wider ab. Ließ mich auch nicht im Geringsten von meiner alten Lebensbegleiterin Angst beeindrucken. Zwar hatte ich für einen kurzen Moment ihre Fratze vor Augen und meinte zu hören, wie sie mir beschwörend ein paar Satzfetzen zurief wie: an die Rente denken, irgendwann ist das Geld verbraucht, Krankenversicherung finanzieren, Rückkehroptionen sichern, schwerer Neueinstieg später, du wirst es bereuen und so weiter, aber ihre Macht über mich verpuffte augenblicklich. Ein neues und gutes Gefühl. Und so war im Grunde von einer Minute auf die andere klar: Du kündigst. Du gehst neue Wege. Du begibst dich auf die Suche nach dem richtigen Leben.
    Wobei ich mir durchaus im Klaren darüber war, absolut allein zu sein. Ich hatte niemanden mehr. Wäre eine Wiederbelebung meiner Freundschaft zu Moritz gelungen, wer weiß, ob ich diesen radikalen Schritt gewagt hätte.
    Nun aber machte ich ihn ohne jede Anstrengung.
    Ich war so enttäuscht, von Anna, von Moritz, von meinen Kollegen, und ich hatte jegliches Interesse an meiner Arbeit verloren.
    Die besten Voraussetzungen also, um ins Ungewisse aufzubrechen.
    Was sollte mich halten?
    Worauf sollte ich noch zurückschauen?

14

    Mit meinem Verleger hatte ich mich schnell geeinigt. Er bestand nicht auf der üblichen Kündigungsfrist, sondern war bereit, mich vorzeitig aus meinem Vertrag zu entlassen. Allerdings ohne Rückkehroption. So kam es, dass ich schon eine Woche nach meiner Entscheidung die Zeitung endgültig verlassen konnte.
     

    Das Gefühl der Erleichterung, als sich am Ende meines letzten Arbeitstages die Hauptpforte unseres Verlagshauses hinter mir schloss, vermag ich gar nicht in Worte zu fassen.
    Nie mehr Großbogenbelt! Nie mehr Isabelle und Lars! Nie mehr Bert und Marion! Es war eine wunderbare Vorstellung, zum letzten Mal in einer Morgenkonferenz gewesen zu sein, zum letzten Mal gestresste, übereifrige oder abgewrackte Kollegen erlebt zu haben und zum letzten Mal von den vermeintlichen Wichtigkeiten der Welt vereinnahmt worden zu sein.
     

    Unter den Kollegen hatte meine Kündigung für einiges Aufsehen gesorgt. So recht konnte niemand meine Entscheidung verstehen, da ich kein attraktives Angebot in der Tasche hatte und auch sonst keinen plausiblen Grund dafür nennen konnte, eine so gute Anstellung aufzugeben. Ich sagte ganz einfach, ich brauchte eine Auszeit - und alles andere würde sich schon finden. Fragte jemand eingehender nach, gab ich mich kurz angebunden. Ich wollte mit niemandem reden oder mich gar erklären. Einige empfanden dieses Verhalten als unhöflich und kauzig. Mir war das schnuppe. Verrieten doch ihre Gedanken ein weiteres Mal, wie verlogen und maskenhaft sie durchs Leben gingen.
    Großbogenbelt beispielsweise drückte in gedrechselter Sprache sein großes Bedauern aus. Und was hörte ich aus seinem Gehirn?
     

    Perfekt! Den Arsch bin ich los.
     

    Lars und Isabelle löcherten mich geradezu, um etwas aus mir herauszubekommen. Was ihnen natürlich nicht gelang. Isabelle gab zuerst auf.
     

    Komischer Typ. Na, auch egal.
     

    Dachte sie. Und ging.
     

    Lars platzte beinahe vor Neid. Denn er malte sich in Gedanken aus, dass ich eine große Erbschaft gemacht hätte. Nur etwas in dieser Richtung könne der Grund für mein seltsames Verhalten sein. Auch einen beträchtlichen Lotteriegewinn hielt er für möglich.
     

    Jetzt kann er sich auf die faule Haut legen, und ich muss hier weiter rackern. Die Welt ist nicht gerecht. Wie schäbig von ihm, seinen alten Freunden nicht die Wahrheit zu sagen.
     

    Mein letzter Arbeitstag verlief völlig unspektakulär. Ich

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