Der geduldige Tod (German Edition)
»Vielleicht wollen die mich ja gar nicht und der Mord an Doktor Jericho klärt sich von alleine auf.«
»Vielleicht, vielleicht aber auch nicht.« Lucia Hernandez trat wieder zurück. »Sie können übrigens in Ihre Wohnung zurück.«
Die Kommissarin ging zur Tür, doch bevor sie die Klinke betätigte, hielt sie inne. »Was meinten Sie eigentlich vorhin? Als ich kam, fragten Sie, ob ich Versteck spielen wolle.«
Victoria verzog den Mund zu einem angedeuteten Lächeln. »Sie hatten geklopft, standen aber nicht vor der Tür, als ich öffnete. Erst beim dritten Mal.«
»Ich habe nur einmal geklopft.«
»Wer war es dann?«
Die Kommissarin schien auf einmal wie ausgewechselt. Sie holte ihr Telefon heraus und ratterte in Spanisch mehrere Befehle herunter, dann wandte sie sich wieder an Victoria.
»Ich fahre Sie nach Hause.«
Victoria stand auf. »Meinen Sie, dass es der Mörder war? Er wollte zu mir?« Ihre Stimme zitterte leicht.
»Ich meine gar nichts. Ich lasse nur das Material aller Kameras überprüfen, die hier in der Nähe installiert sind. Vielleicht finden wir was. Kommen Sie nun.«
Die Frauen verließen das Hotel.
Während der Fahrt sprachen die beiden nur wenige Worte miteinander. Victoria konnte noch nicht richtig fassen, was passiert war. Ihr schien es fast, als wäre sie in einem Albtraum gefangen, der immer absurder und verwirrender wurde. Was wollte der Killer von ihr? Wieso quälte er sie so? Dazwischen schlich sich die Sorge, dass etwas mit ihrem Exmann passiert sein könnte. Würden sie seine Leiche auch bald finden? Bei dem Gedanken wurde ihr ganz schlecht. Sie war zwar nicht mehr mit ihm verheiratet und ihre Trennung war nicht sonderlich schön gewesen, aber sie empfand dennoch Gefühle für ihn. Schließlich hatte sie ihn einmal sehr geliebt.
Am Haus angekommen stieg Lucia Hernandez aus dem Auto aus, obwohl es Victoria lieber gewesen wäre, sie würde es nicht tun. Denn auf der Treppe standen Señora Rodriguez, zwei der Diebe, die Victoria schon einmal beobachtet hatte, und die Tochter der Vermieterin.
Als sie die Kommissarin erblickten, verdrückten sich die Diebe schnell im Garten, und die Tochter verschwand im Haus. Die Vermieterin versteckte ein paar Bündel Geld in ihrer Schürze.
»Buenos dias«, grüßte sie die Ankömmlinge und versuchte ein freundliches Lächeln.
»Buenos dias«, erwiderte die Kommissarin, würdigte die Alte jedoch keines Blickes, als sie an ihr vorüberging.
»Ich hoffe, Sie haben keine Wertgegenstände in Ihrer Wohnung«, sagte die Polizistin zu Victoria, sobald sie vor ihrer Wohnung standen. Am Türrahmen klebten die Reste vom Absperrband, das die Spurensicherung dort befestigt hatte.
»Nein, ich habe nichts von Wert mit auf die Insel genommen.«
»Das war klug. Spätestens jetzt wären Sie es los.«
»Was meinen Sie?« Victoria wusste zwar genau, was gemeint war, stellte sich aber unwissend. Zum einen, um ihre Vermieterin nicht in Schwierigkeiten zu bringen, zum anderen, weil sie selbst nicht in Verdacht geraten wollte, damit zu tun zu haben. Ihre eigenen Schwierigkeiten reichten ihr völlig.
»Sie ist eine Hehlerin. Ist Ihnen das noch nicht aufgefallen?«
Victoria war perplex. »Wenn Sie das wissen, wieso verhaften Sie sie nicht?«
Die Kommissarin zuckte mit den Schultern. »Das haben wir in der Vergangenheit bereits mehrmals getan. Doch sofort gibt es irgendwo jemanden, der das Geschäft übernimmt. Diebe und Hehler sind nicht totzukriegen, da ist es uns lieber, wir wissen, wo wir sie finden und können sie kontrollieren, damit sie nicht über die Stränge schlagen.«
»Und was wird mit den Touristen, denen alles gestohlen wurde?«
»Die kommen trotzdem wieder, mit neuen Sachen. Wenn Menschen aus ihren Fehlern lernen würden, hätten wir nicht ständig neue Kriege oder Wirtschaftskrisen.« Sie klang völlig desillusioniert.
Victoria erwiderte nichts, sondern trat in ihre Wohnung. Es roch seltsam darin, fremd und ungewohnt. Überall waren die Spuren der Kriminaltechniker sichtbar. Pulver am Türrahmen und an der Klinke, eine leere Sprühdose im Müll. Der Tisch war wieder sauber. Sogar eine Decke hatte jemand darüber gelegt.
Sie fühlte sich unwohl in ihren eigenen vier Wänden, wusste aber nicht, wohin sie sonst gehen sollte. Sie musste hierbleiben.
»Danke für’s Herbringen.«
»Wir stationieren einen Polizeiwagen vor Ihrem Haus. Das wird zwar Ihrer Vermieterin nicht gefallen, aber Sie hoffentlich schützen.«
Victoria nickte.
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