Der geduldige Tod (German Edition)
Krähen
Die Stunden in dem Hotelzimmer krochen träge dahin. Victorias Kalender mit den Adressen und Telefonnummern zu suchen, schien eine längere Angelegenheit zu sein, so dass Victoria nichts anderes übrig blieb, als unruhig auf die Rückkehr der Kommissarin zu warten. Der Tod ihres Psychiaters beunruhigte sie. Woran war er gestorben? Und was war mit ihrem Exmann? Die Kommissarin hatte so merkwürdig ausgesehen, als sie den Anruf eben erhielt. Das Telefonat war aus Deutschland gekommen, das war klar. Sie hatte deutsch gesprochen. Aber worum es ging, konnte Victoria nicht erahnen. Sie musste abwarten, was die Frau sagte, wenn sie wiederkam. Und das dauerte unerträglich lange. Aber vielleicht wurde die Kommissarin auch mit wichtigen Hinweisen, den Mörder betreffend, aufgehalten. Vielleicht hatte sie ihn inzwischen sogar gefunden.
Victoria lag auf dem Bett und starrte die Zimmerdecke an, während die Gedanken in ihrem Hirn kreisten. Zwischendurch stand sie auf und sah aus dem Fenster, um sich danach wieder aufs Bett zu legen und ihr abgebrochenes Studium des oberen Teiles des Hotelzimmers wieder aufzunehmen. Und den Kreislauf der Gedanken. Sie hätte viel lieber etwas unternommen, um dem Rätsel auf die Spur zu kommen, so sehr es sie auch mitnahm. Im Zimmer herumzuliegen ohne auch nur den leisesten Schimmer zu haben, was da draußen vor sich ging, machte sie in diesem Moment verrückt. Aber immerhin war sie hier sicher.
Plötzlich klopfte es an der Tür.
Victoria sprang auf. Das musste die Kommissarin sein.
»Sind Sie es?«
Statt einer Antwort klopfte es erneut, dieses Mal noch etwas heftiger.
Victoria zögerte. »Señora Hernandez? Sind Sie es?«
Wieder blieb es still vor der Tür.
Zögerlich ging Victoria auf die Tür zu. Es gab keinen Spion, so dass sie nicht hinaussehen und prüfen konnte, wer davor stand.
Sie solle niemandem die Tür öffnen, hatte die Kommissarin gesagt. Aber was, wenn diese nun ungeduldig davor stand?
Das Klopfen war verstummt. Vielleicht hatte sich die Polizistin jetzt vor der Tür postiert.
Victoria beschloss, die Tür zu öffnen, nur einen winzigen Spalt.
Sie drückte die Klinke herunter und zog die Tür ein paar Zentimeter nach innen, um in den Flur zu spähen. Es war niemand zu sehen. Keine Kommissarin stand oder saß vor ihrer Tür, kein Zimmermädchen wollte den Raum reinigen.
Victoria schloss die Tür hinter sich. Es hatte sich vermutlich nur um eine Verwechslung der Zimmernummer gehandelt. Doch als sie sich wieder hinlegen wollte, klopfte es erneut.
»Wer ist denn da?«, fragte sie ungeduldig.
»Ich bin es«, ertönte die Stimme der Kommissarin.
Erleichtert öffnete Victoria die Tür. »Haben Sie Versteck gespielt?«, fragte sie, doch die Kommissarin überging ihre Frage und lief schnurstracks ins Zimmer, wo sie sich in der Mitte des Raumes aufbaute und die Hände in die Hüften stemmte.
»Waren Sie vor drei Tagen in Deutschland?«
»Nein. Ich war hier. Das wissen Sie doch. Wir haben miteinander gesprochen.«
»Sie hätten Zeit genug gehabt, für einen halben Tag nach Deutschland zu fliegen, etwas zu erledigen und bis zum Nachmittagskaffee wieder zurück zu sein.«
»Ich war aber nicht dort. Warum fragen Sie mich das?«
»Ich will Sie nicht lange im Ungewissen lassen. Dass Ihr Psychiater tot ist, hatte ich Ihnen bereits gesagt. Dass er ermordet wurde, allerdings noch nicht. Er wurde erwürgt. Der deutsche Gerichtsmediziner hat mir das gerade bestätigt.«
»Oh Gott.« Victoria musste sich setzen. »Wann? Wer war es?«
»Die Deutschen denken, dass Sie es gewesen sein könnten.«
»Aber wieso das denn? Ich war die ganze Zeit hier.« Diese Anschuldigung war völlig absurd.
»Jemand hat Ihren Reisepass benutzt und am Flughafen ein Ticket für Sie gekauft. Außerdem wurde ein Tuch von Ihnen am Tatort gefunden.«
»Ein Tuch von mir? Das ist unmöglich.«
»Vermissen Sie eines?«
»Nein!« Doch dann dachte Victoria an den einen Morgen im Hafen. »Ich habe eins verloren, als ich mit Francisco zur ersten Bootstour aufbrach. Es wurde durch den Wind von Bord geweht. Aber das kann es ja wohl nicht sein.«
»Wie sah es aus? Weinrot mit einer zartgrünen Borte?«
»Ja!« Erschrocken starrte Victoria ihr Gegenüber an.
»Dann sind Sie entweder die gewiefteste Mörderin, die ich je kennengelernt habe, oder jemand versucht, Ihnen den Mord an Ihrem Psychiater in die Schuhe zu schieben.«
»Ich war es nicht! Wirklich! Sie müssen mir glauben!«
Victoria
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