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Der geduldige Tod (German Edition)

Der geduldige Tod (German Edition)

Titel: Der geduldige Tod (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helke Böttger
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»Danke.«
    »Und überlegen Sie sich mein Angebot noch einmal.«
    »Mach ich.«
    Lucia Hernandez verließ das Apartment. Victoria blieb allein zurück und drehte sich um die eigene Achse. Wohin sollte sie gehen? Ins Wohnzimmer, wo noch vor kurzem der Kopf einer fremden Frau auf dem Tisch gelegen hatte? Niemals.
    Ins Bett? Es war noch viel zu früh dafür, gerade mal Nachmittag. In der Küche aus dem Fenster starren? Im Badezimmer ein Bad nehmen?
    Sie beschloss, Letzteres zu tun und danach die Wohnung wieder zu verlassen. Sie hielt es hier drinnen nicht aus. Sie würde den Polizisten Bescheid sagen, wohin sie gehen wollte, damit diese ihr folgen konnten.
     
    Kaum befand sie sich, frisch gebadet und in ein bequemes Kleid geschlüpft, auf der Straße, trat sie an den Polizeiwagen heran, der demonstrativ gegenüber vom Haus parkte. Mit Müh und Not erklärte sie den beiden Männern auf Spanisch, dass sie beabsichtigte, einen Spaziergang auf den Berg hinauf zu machen, um der Trostlosigkeit ihrer Wohnung zu entkommen. Die waren nicht glücklich darüber, ließen sie aber gehen.
    Victoria fühlte sich nach der nahezu schlaflosen Nacht ausgelaugt und aufgedreht zugleich. Ihre Nerven schienen zum Zerreißen gespannt, so dass sie beim kleinsten Geräusch zusammenzuckte. Darüber hinaus schienen ihre Sinne besonders geschärft zu sein. Das sanfte Rauschen des Windes kam ihr wie ein Dröhnen vor, das Sonnenlicht blendete sie, so dass sie die Augen zukneifen musste. Und die Hitze machte ihr dermaßen zu schaffen, dass sie am liebsten ihre Kleider ausgezogen hätte. Für einen kurzen Moment bereute sie es, die ruhige, kühle Wohnung verlassen zu haben. Aber als sie an den merkwürdigen Geruch und an die unheimliche Stille darin dachte, wurde ihr wieder klar, sagte sie sich, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte.
    Sie lief die steile Bergstraße hinauf, die an Franciscos Haus vorbeiführte. Das Tor zum Grundstück war geschlossen, jemand hatte schwere Eisenketten an das Schloss gehängt, um Unbefugte fernzuhalten. Als sie das verlassene Gelände mit den Obstbäumen und Weinstöcken sah, traten Tränen in ihre Augen. Was wurde nun aus dem Haus, den Tomaten und dem Aprikosenbaum, den Francisco mit seiner Schwester zusammen gepflanzt hatte? Würde alles verfallen und verwildern? Er hatte sich so viel Mühe gegeben, alles alleine instand zu halten.
    Sie wischte sich die Tränen weg und ging weiter. Sie wollte hinauf auf den Berg, wo sich ein altes Kloster befand, ein Anziehungspunkt für Touristen. Aber auch ein Ort, wo sie Ruhe finden konnte. Sie hatte davon in einem Reiseführer gelesen.
    Der Weg führte steil aufwärts. Die Straße war stark befahren, aber den schmalen Pfad daneben nutzten nur wenige Fußgänger. In den Kurven hielt der langsam fahrende Polizeiwagen den Verkehr auf, so dass ständig jemand hupte. Schließlich erreichte Victoria atemlos und schweißnass den Berggipfel. Eingebettet in einen dichten Wald aus Pinien und Zedern lag das alte Kloster versteckt hinter hohen Mauern. Das Tor war geöffnet und Touristen strömten hinein und hinaus.
    Victoria mischte sich unter die Leute, die Polizisten folgten ihr zu Fuß auf das Klostergelände. Sie strebte zunächst zu einer Aussichtsplattform, von der sie einen atemberaubenden Blick über das Meer hatte. Die Bucht mit dem Städtchen und dem Yachthafen lag ausgebreitet vor ihr. Wie blaue Perlen schimmerten die unzähligen Swimmingpools der Villen und Häuser unter ihr in der Sonne. Weiß glitzerten die Yachten und die Takelage der Segelboote. In der Ferne konnte sie die kleine, unbewohnte Felseninsel entdecken, in deren Bucht sie mit Francisco die erste gemeinsame Nacht verbracht hatte. Bei dieser Erinnerung krampfte sich ihr Herz zusammen. Schnell wandte sie sich ab.
    Sie ging zu dem imposanten Gebäude, das sich dunkel und geheimnisvoll vor ihr erhob. Von einem Schwung Touristen mitgerissen, betrat sie das Kloster. Eine angenehme Kühle und Ruhe umgaben sie. Die Mauern der Kapelle strahlten Schutz und Sicherheit aus. In den Dachbalken schwirrten Schwalben und Spatzen.
    Sie stieß auf eine weitere Tür, die zu einem belebten Innenhof führte. Dort boten Mönche Wein und Kunsthandwerk an, beides kauften die Urlauber ihnen gerne ab.
    Victoria drehte eine Runde durch den Hof und wollte sich gerade wieder dem Ausgang zuwenden, als ihr Schritt stockte. Jemand beobachtete sie. Ein Mann stand auf der anderen Seite des Hofes und starrte sie unverwandt an. Jemand, den

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