Der Gefangene der Wüste
diese Haare … diese blauen Augen …
Er ist es! Er ist gekommen!
Das Wunder eines Traumes wurde Wirklichkeit.
Der Mann war gekommen, der Saadas Herz aus der Brust nahm und es behielt.
Sie drückte den Korb gegen ihre Brüste, wirbelte herum und lief fort. Als verfolge der Teufel sie, jagte sie über die Straße, erreichte die Gartentür ihres Hauses, stürzte in das sichere Viereck der hohen Steinmauern und fiel dort auf die grüne Wiese, auf der sich, welch königlicher Luxus, ein Rasensprenger drehte.
»Er ist es …«, stammelte sie. »Er ist es. O Allah, er ist gekommen. Und er ist herrlicher, viel herrlicher als mein Traum. Wie eine Flamme traf mich sein Blick. Er ist gekommen –«
Sie drückte das heiße Gesicht in das feuchte Gras und preßte beide Hände auf das zuckende Herz.
Das große Schicksal Saadas begann.
Dr. Ralf Bender brauchte nicht lange zu warten. Er wurde sofort von Scheich Seradji Achmed empfangen. Cathérine war schon öfter bei ihm gewesen, und immer handelte es sich um die ›verdammte Geilheit der Männer‹, wie sie es in ihrer Art ausdrückte: Beschwerden über Mädchen der Oase, die – obgleich das verboten war – doch mit Ölbohrern hinter die Büsche und in die Sanddünen gegangen waren und dann allerlei Krankheiten hinterließen … von einer widerlich juckenden Krätze bis zu einer ausgewachsenen Gonorrhöe. Achmed hatte dann immer großzügig abgewunken. »Warum schlafen sie mit unseren Weibern?« fragte er hochmütig. »Unsere Männer werden nicht krank! Es muß an dem merkwürdigen Blut der Weißen liegen –«
»Wenn Sie etwas erreichen wollen, Doktor«, hatte Cathérine vor der Fahrt nach Bou Akbir gesagt, »dann müssen Sie mit dem Scheich reden. Er ist Alleinherrscher in der Oase. Und er möchte uns Eindringlinge in seine Wüste am liebsten fressen.«
Nun stand also Dr. Bender vor Seradji, und Achmed erkannte ihn sofort. Er brauchte erst gar nicht aus dem Aktenschrank die Traumzeichnung Saadas zu holen … diese Augen, dieses stolze Gesicht, die blonden Haare – er war es! Ohne Zweifel. Allah hatte ihn im Traum angemeldet, und Achmed schämte sich vor seinem Gott, daß er daran gezweifelt hatte, daß es diesen Mann überhaupt geben konnte.
Der Empfang im Haus des Scheichs war höflich, aber eisig. Seradji bot Dr. Bender ein rundes Lederkissen als Sitz an, streifte Cathérine mit einem abweisenden Blick, als auch diese sich ohne Aufforderung setzte, und hockte sich dann selbst auf den dicken Teppich. Ein Diener brachte ein kupfernes Tablett, auf dem eine schmale Kaffeekanne, ein Topf mit Kamelstutenmilch und ein Gefäß mit Honig standen. Drei kleine, runde Tassen wurden auf ein aus Messing getriebenes Tischchen gestellt.
Die Höflichkeit, einen Gast zu bewirten, verletzte Seradji nie … aber nach dem Schluck heißen, dickflüssigen Kaffee folgte die dicke Quaderwand der Ablehnung.
Er ist es, dachte er immer wieder. Bei Allah, er wird mir meine Tochter wegnehmen. Was kann ich tun?
Er flüsterte mit dem Diener und war danach zufrieden. Saada wurde eingesperrt, solange der Fremde in der Oase war. Wer sich nicht sieht, kann sich auch nicht lieben – das ist eine furchtbar einfache Weisheit.
»Was führt Sie zu mir?« fragte Achmed in einem einwandfreien klassischen Französisch. Er war ein gebildeter Mann, und es war gut, das auch mitten in der glutenden Wüste herauszustellen. Dr. Bender stellte die Tasse mit dem dampfenden, herrlich duftenden Kaffee zurück auf den Messingtisch.
»Es sind zwei Dinge, Scheich«, sagte er. »Zunächst wollte ich mich vorstellen als der neue Arzt für diesen Bohrdistrikt. Ich wohne auf Station XI.«
»Ich sehe es an Ihrer Begleitung«, antwortete Achmed zurückhaltend. »Seien Sie willkommen, Doktor.«
»Zum anderen möchte ich einen Kranken ansehen.«
»Bei mir?« Die Lippen Achmeds wurden schmal.
»In Ihrer Oase. Schwester Cathérine sagte mir, daß seit zehn Tagen ein Mann mit heftigen Magenkrämpfen in seinem Haus liegt und auch Blut spuckt.«
»Schwester Cathérine liebt es, zu übertreiben.« Ein harter Blick traf die Krankenschwester. »Der Mann ist längst wieder gesund. Er hatte verdorbenes Fleisch gegessen. Wir heilten ihn mit Kräutersaft. Unser Arzt in Bou Akbir ist gut.«
»Sie haben einen Arzt hier?« fragte Dr. Bender erstaunt. Er blickte Schwester Cathérine an, aber diese schüttelte mißmutig den Kopf.
»Was sie hier so Arzt nennen«, sagte sie grob. »Der Kerl hat irgendwo im Norden eine Art
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