Der Gefangene der Wüste
und … sich um die Hadjar-Krankheit kümmern –«
»Aha!« Serrat zog die buschigen Augenbrauen zusammen. »Bei uns gibt es keine Hadjar-Krankheit.«
»Das wissen wir … aber sie ist auf dem Vormarsch. Dr. Bender, der sechs Wochen in Algier im Labor war, meint, es müsse sich um Viren handeln, die die Magenwände durchfressen.«
»Keine Sorge.« Serrat starrte gegen die rohe Holzwand der Schreibbaracke. »Ich will keinen Arzt hier haben. Uns genügt die Cathérine. Schickt ihn zu V oder VIII … da gibt's auch was zu tun.«
»Es geht nicht, Pierre. Befehl von oben. Morgen trifft Dr. Bender bei euch ein. Empfangt ihn nett –«
»Darauf könnt ihr euch verlassen.«
Serrat knallte den Hörer zurück und lief hinüber zu Alain de Navrimont. Der Ingenieur saß auf der Bettkante und pinkelte in einen Eimer. »Kannst du Affe nicht anklopfen?« schrie er, als er Serrats massige Gestalt in der Tür sah. Er schob den Eimer unters Bett und knöpfte seine Hose zu.
»Ein Arzt kommt aus Algier! Morgen schon!« brüllte Pierre.
»Na und?«
»Begreifen Sie nicht, Chef? Ein Arzt! Wegen der Hadjar-Krankheit! Irgend jemand muß uns verpfiffen haben. Dem Schwein drehe ich den Hals 'rum wie eine Spirale! Wenn die Sache mit Bob Miller herauskommt, haben wir hier die Sandflöhe am Tanzen!«
Ingenieur de Navrimont sah Pierre aus wäßrigen, betrunkenen Augen an. Sein Gehirn arbeitete langsam … es war schwer für die Gedanken, sich durch den Alkohol durchzuwühlen.
Ein Arzt. Der Fall Miller. O verdammt, verdammt … das gibt Unruhe in der Wüste.
»Was sollen wir tun?« fragte er hilflos.
»Das einzige, was uns übrigbleibt: Wir werden den Deutschen wegekeln. Für ihn wird die Wüste nicht aus Sand, sondern aus Beton sein. Keiner von uns wird mit ihm sprechen … und wenn's sich nicht vermeiden läßt, werden es Unfreundlichkeiten sein. Er soll bei 60 Grad Hitze das Frieren lernen. Und wenn er auf Inspektionsreise geht, wird genau dort, wo es kein Wasser gibt, der Motor aussetzen.«
»Das kannst du nicht tun, Pierre.«
»Ich kann alles.« Serrat ballte die riesigen Fäuste. »Wir brauchen keinen Schnüffler hier. Am besten ist es, Sie halten sich aus allem heraus.«
Er brachte de Navrimont eine neue Flasche Pernod und einen Krug Wasser, stellte beides auf den Nachttisch und verließ das Zimmer.
Das war morgens um 10 Uhr. Um 12 Uhr war der Ingenieur wieder unansprechbar, und Pierre hielt eine Versammlung mit seinen Leuten ab.
»Er ist Luft für uns!« brüllte er und starrte dabei Jules aus Lyon, den Schwulen, an. »Auch für dich, du Süßer! Ich schlage jedem die Hirnschale ein, der sich um den Doktor kümmert.«
Das war vor 24 Stunden gewesen. Nun saß Dr. Ralf Bender in der steinernen Krankenbaracke, im Zimmer von Schwester Cathérine. Ein großer Ventilator drehte sich an der Decke, vor den Fenstern hingen dichte Vorhänge, es war angenehm kühl im Vergleich zu der Glut, die draußen über den Sanddünen brütete. Nur die Geier auf dem Dach hörte man … ihr heiseres Krächzen durchdrang jede Mauer.
»Ihr Zimmer ist vorbereitet«, sagte Cathérine und goß ein Glas mit kaltem Tee voll. »Sie können es beziehen, wenn Sie bleiben wollen.«
»Natürlich bleibe ich.« Dr. Bender blickte Serrat an. Der Riese stand an der Tür und rauchte nervös. »Ich packe sofort aus und besichtige dann die Krankenstation.«
»Die erste Chefvisite!« sagte Serrat anzüglich. »Sie werden sich wundern!«
»Ich glaube nicht. Ich habe alles, was möglich ist, erwartet.«
»Sie wissen gar nicht, was in der Wüste alles möglich ist.«
»Vielleicht. Man lernt nie aus … und ich lerne gern.«
Serrat schob die Unterlippe vor, tippte an sein verbeultes, altes Legionärskäppi und verließ das Zimmer. Draußen im Flur warf er die halb gerauchte Zigarette an die Wand, zertrat sie dann mit dem Stiefel und sagte laut: »Scheiße!« Dr. Bender hörte es durch die Tür und lächelte Schwester Cathérine an.
»Er hat Manieren wie ein Büffel –«
»Wundert Sie das? Er ist seit zwanzig Jahren in der Wüste. Da trägt man keinen Brillantring mehr am kleinen Finger. Hier können Sie mit einer Konversation über das Mystische in Sartres Dramen nichts erreichen, wohl aber mit einem Faustschlag unters Kinn, ölbohren in der Sahara … das ist eine Welt für sich.«
»Aber sie alle hier sind Menschen.«
»Doch was für welche!«
Eine Stunde später, nachdem Dr. Bender seine Koffer ausgepackt und von seinem Zimmer Besitz ergriffen hatte,
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