Der Gefangene von Zhamanak
einen. Sie sagte noch: »Jetzt habe ich mich so bemüht, meine Sachen einigermaßen in Schuss zu halten, aber ohne Nadel und Faden …« Und dann löste sie sich schluchzend in Tränen auf.
»Komm schon, ist ja alles wieder gut!« sagte Percy Mjipa sanft und legte ihr den Arm um die Schulter. »Wir sind eigentlich nicht schlimmer dran als vorher. Bevor Reverend Hepburn meinem Volk beibrachte, dass menschliche Haut etwas Unanständiges wäre, haben wir uns nichts dabei gedacht, nackt herumzulaufen. Außerdem kriegst du ein blaues Auge.«
»Ich h-habe einen Ellenbogen abgekriegt. Wo hast du gelernt, d-deine Fäuste so gut zu gebrauchen?«
»Ach, ich habe mal für Oxford ein bisschen geboxt«, sagte Mjipa mit gespielter Nonchalance.
Sie wischte sich die Augen und rutschte ein bisschen von ihm weg. »Vielen Dank, Percy. Du bist ein netter Kerl.«
Percy ertappte sich dabei, wie er auf ihren Körper starrte. Es war lange her, seit er von seiner Frau weg war. Trotz all seiner hehren Prinzipien keimten fleischliche Gelüste in ihm auf. Plötzlich seines prüfenden Blicks inne werdend, errötete Alicia. »Was starrst du mich so an?«
»Nun, um ehrlich zu sein, ich … eh … ich habe mich gerade gefragt, ob du dich wohl immer noch mit den Gedanken trägst, Khoroshs Ansinnen Folge zu leisten …«
Sie lachte. »Das ist der komischste Antrag, den ich je gekriegt habe, und ich habe viele gekriegt. Nein, mein Lieber, kommt nicht in Frage.«
»Nun ja«, murmelte Mjipa, »du hast so was erwähnt von wegen Verhütungsmittel einschmuggeln, und da dachte ich mir, ich könnte vielleicht …«
»Wie du selbst sagtest, als letzter verzweifelter Ausweg. Ich dachte mir, dass wir vielleicht Khorosh glauben machen könnten, wir würden uns seinen Anordnungen beugen, aber ohne dabei eine Schwangerschaft zu riskieren; und gleichzeitig hätte ich dir die Qualen unerwiderter Lust ersparen können. Aber ich hatte nicht bedacht, in was ich da hineingeraten würde – oder, besser gesagt, umgekehrt.«
»Okay, vergiß es.« Mjipa gab sich einen kräftigen inneren Ruck und stopfte seine Pfeife.
»Ich find’s nur schade, dass er nicht auf deinen Vorschlag mit der Eheberatung eingegangen ist. Das fand ich eine glänzende Idee.«
»War vielleicht bloß eine Frage des Zeitpunkts. Wenn ich ihm damit gekommen wäre, wenn er und seine Heshvava gerade einen richtig fetzigen Ehekrach gehabt hätten … Wenn sie sich darüber beklagt hätte, dass er beim Liebemachen zu schnell und zu hastig wäre, dann hätte ich ihm empfohlen, zwischen den einzelnen Stößen viermal tief durchzuatmen.«
Alicia bekam so einen heftigen Lachanfall, dass sie fast von der Bank gefallen wäre. Als sie endlich ihre Stimme wieder gefunden hatte, sprudelte sie prustend hervor: »P-Percy, ich kenne dich ja gar nicht wieder! Solch irdischer Realismus von meinem puritanischen Helden! Vier Atemzüge nach jedem Stoß? Das ist ja genau umgekehrt wie beim Kraulschwimmen!«
»Da sind’s vier Züge pro Atemzug, nicht?« Mjipa fiel mit ein in das brüllende Gelächter seiner Mitgefangenen. »Wenn Khorosh drauf eingegangen wäre, dann könnten wir, wenn wir wieder in Novo sind, ein Schild aufhängen:
MJIPA UND DYCKMAN
E HE - UND S EXUALBERATUNG
K GL . H OFBERATER I HRER M AJESTÄTEN VON Z HAMANAK
»Und wieso soll dein Name vor meinem stehen?« »Weil ich verheiratet bin, meine Liebe, und du nicht.« »Aber dafür hast du keine Vorlesungen in Anthropologie der Ehe und Sexualpsychologie belegt – aber ich. Das hat natürlich Vorrang. Das ist bloß wieder dein klerikalreaktionärer männlicher Überlegenheitswahn …«
Mjipa hob beschwichtigend eine Hand. »Lass uns nicht schon wieder damit anfangen! Wir müssen an einem Strick ziehen. Wie wär’s, wenn wir die Konjunktivformen des Präsens im Khaldoni noch mal wiederholen?«
4
Flucht
E ine weitere Fünfnacht verging. Die beiden Gefangenen bekamen zu ihrer Nacktheit ein so unbekümmertes Verhältnis, wie es ein gesunder Mann und eine gesunde Frau, die längere Zeit auf engem Raum miteinander verbringen müssen, nur bekommen können. Um seine Lust im Zaum zu halten, reagierte sich Percy Mjipa immer häufiger mit gymnastischen Übungen ab, bis er schließlich den größten Teil seiner wachen Stunden damit verbrachte. Er trabte auf der Stelle, übte Schattenboxen und machte Klimmzüge an der Vorhangstange, bis sie unter seinem Gewicht zerbrach.
Dann tauchte Khateluts, der Dritte Hilfssekretär, wieder auf.
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