Der Gefangene von Zhamanak
oder?« Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr der Weise fort: »Im darauf folgenden Jahr kehrte sie zurück mit der Begründung, der Musikant sei ramandusüchtig und obendrein verrückt, und überdies trachte er danach, jedes Weib zu begatten, dem er begegnete. Sie bat mich um Vergebung, und ich nahm sie wieder auf.
Im Jahr darauf brannte sie mit einem Kapitän durch. Und wieder kam sie zurück. Er habe sie geschlagen, so sagte sie; und da nahm ich sie abermals auf. Beim dritten Mal war es ein Ayahändler, welcher sie, ihrer überdrüssig geworden, allein in Yein zurückließ. Diesmal jedoch war ich es endgültig leid; dreimal, so fand ich, waren zweimal zuviel. Und so wies ich ihre Bitten um Versöhnung ab und löste unsere Verbindung auf.«
»Habt Ihr sie seither wieder gesehen?«
»O ja, bisweilen kommt sie, das Haus zu säubern; sie sagt, sie könne den Schmutz und die Unordnung nicht ertragen, welche während ihrer Abwesenheit entstehen. Danach strebt sie dann in mein Bett, in der Hoffnung, ein ehelicher Ritt würde mich erweichen und nachgiebig stimmen. Zwar beiße ich jedes Mal an – ganz fertig bin ich noch nicht mit ihr –, doch sobald Roqir aufgeht, schicke ich sie wieder von dannen. Wie sagt doch Nehavend: Jeder irrt, aber ein Tor ist der, welcher sich in seinen Irrtümern ständig wiederholt. Und so geht es nun seit siebzehn Jahren.«
»Ganz wie beim Homo sapiens«, sagte Mjipa auf Englisch.
»Für mich«, sagte Alicia, »hört sich das ganz so an, als hätten die beiden einander verdient.«
»Sei nicht zu hastig mit deinen Schlussfolgerungen. Sie können beide Leute mit hervorragenden Qualitäten sein, jeder für sich gesehen, die trotzdem einfach nicht miteinander klarkommen können.« Wie du und ich, fügte er in Gedanken hinzu.
Als er mit dem Rasieren fertig war, sagte Mjipa: »Und nun runter mit dem Kilt, Herr Doktor. Soviel ich weiß, hält man in Zhamanak jede Art von Kleidung für unmännlich.«
»Ah, diese Schmach, die ich erdulden muss!« wehseufzte der Weise und ließ seinen Kilt herunter. »Wenn Ihr mir nur ein Paar scharlachfarbener Spirallinien auf den Rücken malt, schaffe ich den Rest, so denke ich, selbst.«
Gegen Mitternacht war das Werk vollbracht. Mjipa sagte: »Legt den Umhang wieder an, Doktor. Er verschmilzt mit der Dunkelheit. «
Die Straße vor Irants’ Gasthof schien menschenleer und verlassen, als Mjipa und Isayin losmarschierten – der letztere mit den Vorräten beladen, die Alicia eingekauft hatte. Als Mjipa seinen üblichen Sturmschritt anschlug, jammerte Isayin: »Langsam, bitte! Ich kann nicht mit Euren Shomal-beinen mithalten, o Terraner!«
Mjipa verlangsamte seinen Schritt. In der Dunkelheit bog er in eine falsche Seitenstraße ein und musste nach wenigen Schritten feststellen, dass er sich wieder einmal verlaufen hatte. Und diesmal war keine Streife der Nachtwache in Sicht, die er nach dem Weg hätte fragen können. Aber selbst wenn eine dagewesen wäre, hätte Mjipa nicht gewagt, sich an sie zu wenden; in diesem Stadium war jeder Kontakt mit der Staatsmacht ein zu großes Risiko. Er wünschte, er hätte jetzt Alicia mit ihrem untrüglichen Ortssinn dabei.
Isayin war auch keine große Hilfe. »Nein, Meister Mjipa«, brummte der Gelehrte. »Ich kenne mich in diesem alten Viertel nicht aus. Warum fertigtet Ihr keine Karte oder einen Reiseplan an, bevor wir losgingen? Das schiene mir doch ein selbstverständlicher logischer Schritt.«
»Wenn wir uns nach Norden halten«, sagte Mjipa, den Einwand des Weisen geflissentlich übergehend, »dann stoßen wir irgendwann auf den Hafenbezirk, und von dort aus brauchen wir uns nur noch nach Westen zu halten, um zum Turm zu kommen.«
»Wenn wir nicht vorher die Gurgel durchgeschnitten bekommen. Das Hafenviertel ist eine verrufene Gegend.«
Mjipa spürte wachsenden Ärger über Isayins fortwährendes Genörgel in sich aufsteigen. »Habt Ihr vielleicht einen besseren Vorschlag? Nein? Möchtet Ihr lieber zurück ins Alte Gefängnis? Also gut, dann gebt endlich Ruhe!«
Nach einem kurzen Marsch fand Mjipa das Hafenviertel und hielt sich nach Westen, bis Vuzhovs Turm in der Dunkelheit auftauchte. Mjipa näherte sich vorsichtig dem planierten Vorplatz, immer darauf bedacht, in der Deckung der Schutthaufen zu bleiben. Plötzlich meldete sich Isayin in normaler Lautstärke: »Und wie wollt Ihr in den Turm hinein …«
»Pssst!« zischte Mjipa. »Nur im Flüsterton sprechen!«
»Hört, Meister Mjipa; auch wenn Ihr ein
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