Der Gefangene von Zhamanak
hinter die Dächer der näheren Häuser tauchte, betrat er das Gefängnis und legte dem Aufseher die gefälschte Order zur Entlassung Isayins vor.
Der Aufseher starrte auf das Dokument. Er rief einen anderen Wärter hinzu, und die zwei berieten sich mit gedämpfter Stimme. Mjipa dankte den krishnanischen Göttern, dass Krishna von den Segnungen des Telefons bisher noch verschont geblieben war, denn mit einem solchen hätten die Wärter binnen weniger Minuten rückfragen können.
Der erste Wärter holte aus einer Schublade seines Schreibtisches ein anderes Dokument hervor und verglich die beiden miteinander. Dann murmelte er: »Fürwahr, ’s ist des Phathvums eigenhändige Unterschrift.« Er stand auf und winkte Mjipa, ihm in den Korridor zu folgen, in dem Isayins Zelle lag.
Die Augen des Doktors leuchteten auf, als die Zellentür sich öffnete. Mjipa reichte ihm Minyevs Umhang und sagte: »Zieht das an, Doktor.«
Als sie durch den Korridor zurückgehen wollten, sagte der Wärter: »Ihr müsst eine Bestätigung für den Empfang des Gefangenen unterzeichnen, Meister Terraner.«
»Gewiss. Wo ist das Formular?«
Aus seinem Schreibtisch zog der Wärter ein mit Schrift bedecktes Blatt Papier. Mjipa schrieb ›William Shakespeare‹ mit einem gewaltigen Schnörkel. Dann tauchten er und Isayin in der Abenddämmerung unter.
Als sie am Brunnen des Verkrüppelten Gottes ankamen, war Alicia noch nicht da. Mjipa und Isayin warteten fast eine Stunde, während der Mjipa die Neugier ganzer Scharen von Kalwmianern ertragen musste, die ihn gaffend umringten und ihn mit Fragen löcherten: »Ist Eure Welt flach, so wie unsere? Oder ist sie von anderer Form, wie ein Würfel?« – »Leben dort wilde Bishtare, Yekis und dergleichen Getier?« – »Ist sie von einem einzigen großen Meer bedeckt, in welchem Inseln liegen?« – »Könnt Ihr mir sagen, wie man eine Verstopfung der Atemwege kurieren kann?« – »Ist es wahr, dass terranische Männer so potent sind, dass sie in einer einzigen Nacht hundert Frauen begatten können?«
Obwohl die Fragesteller Isayin, der für sie ein normaler Kalwmianer war, kaum Beachtung schenkten, klagte der Gelehrte: »Meister Mjipa, dies ist höchst unangenehm. Könnt Ihr sie nicht fortjagen? Oder sollten wir nicht nur auf Gozashtando miteinander reden?«
»Sie haben uns schon Khaldoni sprechen hören; dazu ist es also zu spät.« Der Konsul, der angefangen hatte, Spaß an der Spiegelfechterei mit den Fragen zu bekommen, wandte sich dem letzten zu. »Was das anbetrifft, guter Mann, so fürchte ich, dass die Berichte maßlos übertreiben. Nur in Mythen und Legenden können terranische Männer solche Hochleistungen vollbringen.«
»Warum kommt Eure Gefährtin nicht?« brummelte Isayin. »Wenn der Palast sich nun nach mir erkündigt ....«
»Sie wird schon irgendwann kommen!« fauchte Mjipa. »Ah, da ist sie ja!«
Alicia erschien mit einem großen Einkaufsnetz voller Lebensmittel. Als die drei im Gasthof ankamen, war Minyev schon da. Mjipa bugsierte Isayin in sein Zimmer und sagte: »Wir bringen Euch Euer Abendessen auf das Zimmer. Und seid achtsam mit den Farbtöpfen!«
Nach dem Abendessen packten Mjipa und Minyev die restlichen Sachen aus, die Minyev eingekauft hatte, und machten sich daran, Isayin in einen Zhamanakianer zu verwandeln. Während Minyev die Farben mischte, rasierte Mjipa dem Doktor den Schädel, wobei er ihm ein paar kleine Schnitte versetzte.
»Warum konntet Ihr mich nicht zu einem richtigen Barbier bringen?« jammerte Isayin. »Ihr hättet mich beinahe skalpiert, so wie es die Barbaren aus Qaath mit ihren gefallenen Feinden zu tun pflegen.«
»Hört endlich auf zu jammern!« fuhr Mjipa ihn schroff an. »Wenn wir zu einem richtigen Barbier gegangen wären, hätten die Behörden über ihn auf Eure Spur kommen können. Und jetzt haltet still, sonst schneide ich Euch gleich wieder.«
Alicia steckte den Kopf zur Tür herein, um zu sehen, wie sie vorwärtskamen. »Doktor«, fragte sie, »habt Ihr eine Frau oder andere Angehörige?«
»Im Moment nicht.«
»Heißt das, Ihr hattet eine? Ist sie gestorben, oder was?«
»Wenn Ihr es unbedingt wissen müsst, Meisterin Dyckman: Sie ist mit einem fahrenden Musikanten davongelaufen.«
»Oh, das tut mir leid!«
»’s war nicht ohne ausgleichende Vorteile. Sie sagte, sie fände das Leben mit mir unerträglich wegen meiner ständigen Klagen. Wahrlich, Meisterin, war das nicht höchst ungerecht? Ich bin doch kein chronischer Krittler,
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