Der Gefangene von Zhamanak
abzufühlen. Als seine Finger am unteren Rand entlangglitten, blieben sie an dem dünnen Ende des Holzkeils hängen, den er dem Weisen zum Festklemmen der Tür dagelassen hatte. Isayin hatte eindeutig den Keil zwischen Tür und Fußboden getrieben, und das dünne Ende des Keils ragte an der Außenseite heraus. Der Krishnaner musste also noch drin sein.
Nach kurzem Überlegen begann Mjipa mit seinem Dolch an der spitzen Kante des Keils herumzuschaben, bis er, nachdem er etwa einen Zentimeter Holz weggeschnitzt hatte, den Keil so weit abgestumpft hatte, dass die vormals scharfe Kante jetzt etwa daumenbreit war. Er steckte seinen Dolch wieder in die Scheide, löste diese von seinem Gürtel und hielt den Knauf des Dolchs gegen die abgestumpfte Kante des Keils.
Dann begann er, mit dem Griff seines Schwerts gegen den Knauf seines Dolchs zu schlagen. Nach zwei, drei Schlägen merkte er, dass der Keil sich bewegte. Als der Rand des Keils unter der Türkante verschwand, zog er den Dolch erneut aus der Scheide, schob die Spitze unter die Tür gegen den Keil und schlug einmal kräftig gegen den Knauf seines Dolchs. Der Keil glitt nach innen weg, und die Tür war frei. Mjipa stand auf, ertastete die Klinke, zog sie hoch und öffnete die Tür.
Er glitt hinein und schaute sich um. In dem trüben Licht, das durch das Fenster hereinfiel, sah er in einer Ecke die schemenhaften Umrisse einer am Boden liegenden Gestalt. Er hetzte hinüber und ergriff einen Arm des nackten Körpers. Er fühlte sich warm an.
Der Körper bewegte sich, und Isayin schlug die Augen auf. »Was – wo bin ich?« murmelte er schlaftrunken. »Ah, ach ja; jetzt weiß ich wieder. Ihr seid der Terraner, der mich in Vuzhovs Turm gebracht hat.«
»Habt Ihr denn nicht gehört, wie ich an die Tür geklopft und gerufen habe?« raunzte Mjipa.
»Nein, guter Herr; ich lag fest in den Armen Varzais.« Der Doktor rappelte sich ächzend und mit knirschenden Gelenken auf. »Auf Ziegelboden zu schlafen, ist beschwerlich in meinem Alter, ’s ist fürwahr eine schelmische Ironie, nicht wahr, dass ich, verurteilt, da ich der Welt Kugelgestalt verfocht, Zuflucht finde in einem Turm, welcher dem gegenteiligen Glauben geweiht ist. Brechen wir nun zu Eurem Schiff auf?«
»Ja. Verlieren wir keine Zeit mehr.« Mjipa strebte zur Tür, der Weise tappte schläfrig hinter ihm her. Da blieb Mjipa so plötzlich stehen, dass der Scholar von hinten gegen ihn stieß.
Durch die Tür, die angelehnt war, drang das Geräusch von vielen Schritten, die sich die Wendeltreppe herauf bewegten, vermischt mit dem Knarren von Gurtwerk, dem Klirren von Waffen und dem Gemurmel von Stimmen.
Mjipa war mit einem Satz bei der Tür und spähte durch den Ritz nach draußen. Auf der Treppe sah er schemenhafte Bewegung. Da klar war, dass der Fluchtweg nach draußen schon abgeschnitten war, packte er den Türknauf und zog die Tür zu. Die Geräusche wurden rasch lauter, bis sie direkt von draußen kamen. Eine Stentorstimme rief:
»Der terranische Gestank hört hier auf. Er muss in dieser Kammer stecken! öffnet sie, Kumpane; ab, er habt acht! Dieser Terraner ist kein Schwächling!« Mjipa erkannte den zhamanakianischen Dialekt von Verar, dem Abgesandten König Khoroshs.
Ein plötzlicher Ruck von außen ließ die Tür einen Spaltbreit aufgehen. Mjipa zerrte an dem Knauf und knallte sie wieder zu, das Fehlen eines Riegels oder eines anderen Sperrmechanismus verfluchend. Der Gegenzug von draußen wurde stärker, ruckartiger. Mjipas Muskeln waren bis zum Zerreißen gespannt, und der Schweiß rann ihm in Bächen vom Oberkörper, als er alle Kraft zusammennahm und versuchte, die Tür zuzuhalten.
»Was sollen wir tun? Was sollen wir tun?« quiekte Isayin, wobei er von Panik ergriffen aufgeregt um Mjipa herumtanzte. »Wenn sie uns hier bis zum Morgengrauen festhalten, dann kommen die Soldaten; aber sie werden uns gleich mitarrestieren!«
»Treibt den Keil mit dem Hammer wieder unter die Tür!« ächzte Mjipa. Als Isayin keine Anstalten machte, der Aufforderung nachzukommen, wiederholte er sie. Er wünschte sich in diesem Moment nichts sehnlicher herbei als seine Webley und Scott 6-Millimeter; damit hätte er die Sachlage entscheidend zu seinen Gunsten ändern können.
Draußen entflammte eine heftige Debatte – vermutlich darüber, wie man am besten die Tür aufkriegte. Mjipa schnappte den Satz auf: »… schiebst sie unter die Klinke … so …«
Als Isayin endlich den Hammer und den Keil aufgehoben hatte
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