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Der Gefangene

Titel: Der Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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aber fertig, einigermaßen zu funktionieren. An schlechten Tagen schlief er im Gerichtssaal ein, hatte seine Blase nicht unter Kontrolle oder übergab sich im Richterzimmer. Ein durch die Gänge des Gerichtsgebäudes taumelnder Briggs war ein vertrauter Anblick. Greg und seine Eltern wurden erst misstrauisch, als Briggs bei einem Mittagessen mehrere Flaschen Bier kippte.
    Briggs Abhängigkeit von Alkohol und Medikamenten war dem Prozessrichter und der Rechtsanwaltskammer von Oklahoma sehr wohl bekannt, doch es wurde so gut wie nichts unternommen, um ihm die Zulassung zu entziehen oder ihm und seinen Mandanten sonst irgendwie zu helfen.
    Gregs Familie machte einen bekannten Experten für Bissspuren in Kansas ausfindig, doch Briggs war zu beschäftigt oder zu verkatert, um mit dem Mann zu sprechen. Der Anwalt befragte keine Zeugen und bereitete sich - soweit Greg das beurteilen konnte - so gut wie gar nicht vor.
    Der Prozess war ein Albtraum. Die Anklage rief zwei Gutachter für Bissspuren in den Zeugenstand, von denen der eine sein Zahnarztstudium erst vor einem Jahr abgeschlossen hatte. Briggs hatte nichts in der Hand, um ihre Aussage zu widerlegen. Die Geschworenen berieten sich zwei Stunden lang und erklärten Greg für schuldig. Bei der Bestimmung des Strafmaßes rief Briggs keine Zeugen für mildernde Umstände auf. Die Geschworenen berieten sich eine Stunde lang und verhängten die Todesstrafe. Dreißig Tage später wurde Greg noch einmal in den Gerichtssaal gebracht, wo man ihm das Todesurteil vorlas.
    In Zelle 9 hängte Greg Zeitungen über die Gitterstäbe an seiner Tür, damit ihn niemand sehen konnte. Er redete sich ein, nicht im Todestrakt zu sein, sondern in seinem eigenen kleinen Kokon, irgendwo anders. Wenn er nicht gerade ein Buch las, sah er fern - seine Familie hatte ihm ein kleines Gerät geschickt. Er sprach mit keinem anderen Gefangenen, nur mit dem Läufer, der ihn gleich bei ihrer ersten Unterhaltung fragte, ob er Marihuana kaufen wolle. Greg wollte.
    Am Anfang begriff Greg gar nicht, dass es auch einige Glückliche gab, die den Todestrakt lebend verließen. Manchmal hatten die Revisionsanträge Erfolg, gute Anwälte kümmerten sich um die Belange der Gefangenen, Richterwachten auf und Wunder geschahen, doch davon hatte ihm niemand etwas gesagt. Er war sicher, dass man ihn hinrichten würde, und wenn er ehrlich war, wollte er das Ganze so schnell wie möglich hinter sich bringen.
    Sechs Monate lang verließ er seine Zelle nur, um zu duschen, schnell und allein. Mit der Zeit lernte er einige seiner Mitgefangenen kennen und wurde dann auch für eine Stunde auf den Hof eingeladen, um dort Sport zu treiben und sich mit anderen zu unterhalten. Doch kaum hatte er den Mund aufgemacht, um zu reden, schuf er sich auch schon Feinde. Greg war ein Unikum im Todestrakt, denn er war für die Todesstrafe. Wenn man jemand ums Leben brachte, sollte man mit seinem eigenen Leben dafür bezahlen, argumentierte er laut und unüberhörbar. Eine solche Meinung war etwas völlig Neues.
    Außerdem gewöhnte er sich sehr zur Verärgerung seiner Mitgefangenen an, David Letterman mit voll aufgedrehter Lautstärke zu sehen. Schlaf hat einen hohen Stellenwert im Todestrakt, und viele der Männer dort verbringen die Hälfte des Tages in einer anderen Welt. Wenn man schläft, betrügt man das System. Schlaf gehört einem selbst, nicht dem Staat.
    Verurteilte Mörder haben keine Hemmungen, jemandem mit dem Tod zu drohen, und bald härte Greg Gerüchte, nach denen ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt worden sei. In jedem Todestrakt gibt es mindestens einen Boss und mehrere, die es werden wollen. Es gibt Fraktionen, die um die Vorherrschaft konkurrieren. Sie suchen sich die Schwachen aus und verlangen häufig Geld für das Recht, im Todestrakt zu »leben«. Als Greg zu Ohren kam, dass er Miete zahlen solle, lachte er und schickte eine Nachricht zurück, in der stand, dass er niemandem auch nur einen Cent dafür zahlen werde, um in einem solchen Rattenloch zu leben. Der Todestrakt in McAlester wurde von Soledad kontrolliert, einem Mörder, der einige Zeit in dem gleichnamigen Gefängnis in Kalifornien verbracht hatte und deshalb so ge- nannt wurde. Soledad störte sich daran, dass Greg Anhänger der Todesstrafe war, und David Letterman konnte er erst recht nicht ausstehen. Da jeder anständige Boss im Gefängnis auch zum Töten bereit sein musste, wurde Greg zum Ziel.
    Im Todestrakt hat jeder Feinde. Die Auseinandersetzungen sind

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