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Der Gefangene

Titel: Der Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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Telefon auf einen Rollwagen und schoben ihn zu den Zellen. Ein Wärter gab die Nummer ein, dann steckte er den Hörer durch die Gitterstäbe der Zellentür. Da alle Anrufe R-Gespräche waren, war es ihnen eigentlich egal, wie oft ein Gefangener telefonierte. Schon bald brüllte Ron öfter als alle anderen nach dem Rollwagen.
    In der Regel begannen seine Gespräche damit, dass er Geld verlangte, zwanzig oder dreißig Dollar, damit er sich Lebensmittel und Zigaretten kaufen konnte. Annette und Renee versuchten, ihrem Bruder jeweils vierzig Dollar im Monat zu schicken, doch sie hatten hohe Ausgaben und nur wenig Geld übrig. Es war nie genug, und Ronnie erinnerte sie immer wieder daran. Er wurde oft wütend und behauptete dann, sie würden ihn nicht genug lieben, sonst würden sie ihn aus dem Gefängnis holen. Er sei unschuldig, alle wüssten das, und außer seinen Schwestern gebe es niemanden draußen, der ihm seine Freiheit wiedergeben könne.
    Rons Anrufe verliefen nur selten friedlich, obwohl Annette und Renee versuchten, nicht mit ihm zu streiten. Bei jedem Gespräch erinnerte er seine Schwestern irgendwann daran, wie sehr er sie liebe.
    Annettes Mann abonnierte National Geographie und die Ada Evening News für Ronnie, der wissen wollte, was zu Hause geschah.
    Kurz nach seiner Ankunft in McAlester hörte er zum ersten Mal von Ricky Joe Simmons und dessen bizarrem Geständnis. Barney hatte von dem auf Band aufgenommenen Geständnis gewusst, es aber nicht im Prozess verwendet und seinem Mandanten auch nichts davon gesagt. Ein Ermittler des Oklahoma Indigent Defense System, jener Behörde des Staates, die für die Strafverteidigung Mittelloser zuständig ist, nahm das Video mit dem Geständnis nach McAlester mit und führte es Ron vor. Er ging vor Wut die Wände hoch. Jemand hatte zugegeben, Debbie Carter getötet zu haben, und die Geschworenen in seinem Prozess hatten nichts davon erfahren!
    Sicher würde die Neuigkeit bald schon Ada erreichen, und Ron wollte in der Lokalzeitung die Artikel darüber lesen.
    Ricky Joe Simmons wurde für Ron zu einer weiteren fixen Idee - vielleicht zur wichtigsten - und blieb es viele Jahre lang.
    Ron versuchte, alle möglichen Leute anzurufen; er wollte, dass die ganze Welt von Ricky Joe Simmons erfuhr. Dessen Geständnis war Rons Fahrkarte in die Freiheit, und er wollte unbedingt, dass jemand den Jungen vor Gericht brachte. Er rief Barney an, andere Anwälte, Beamte der County, sogar alte Freunde, doch die meisten wollten die R-Gespräche gar nicht erst annehmen.
    Nachdem man einige Insassen des Todestraktes dabei erwischt hatte, wie sie die Familien ihrer Opfer anriefen und verhöhnten, wurden die Regeln geändert, und Telefonieren war nur noch eingeschränkt möglich. Erlaubt waren jetzt im Schnitt zwei Anrufe pro Woche, und jede Telefonnummer musste vorher genehmigt werden. Einmal in der Woche schob der Läufer einen Rollwagen mit abgenutzten Taschenbüchern aus der Gefängnisbibliothek durch den F-Trakt. Greg Wilhoit las alles, was er in die Finger bekam - Biografien, Kriminalromane, Western. Stephen King war einer seiner Lieblingsautoren, doch die Bücher von John Steinbeck liebte er heiß und innig.
    Er drängte Ron dazu, Bücher zu lesen, als eine Art Flucht vor der Realität, und bald schon diskutierten sie über den künstlerischen Wert von Die Früchte des Zorns und Jenseits von Eden, was im Todestrakt ein eher ungewöhnliches Thema war. Stundenlang standen die beiden an ihren Zellentüren, beugten sich durch die Gitterstäbe und redeten und redeten. Bücher, Baseball, Frauen, ihre Prozesse.
    Beide waren überrascht, als sie erfuhren, dass die meisten Insassen eines Todestraktes nicht mehr auf ihrer Unschuld beharren. Stattdessen neigen sie dazu, ihre Verbrechen noch auszuschmücken, wenn sie sich mit anderen Gefangenen unterhalten. Ständig wird über den Tod gesprochen - begangene Morde, Mordprozesse, Morde, die man noch begehen wollte.
    Als Ron weiterhin behauptete, unschuldig zu sein, begann Greg ihm zu glauben. Jeder Häftling hatte die Mitschrift seines Prozesses in der Zelle, und Greg las Rons Kopie - alle zweitausend Seiten. Er war schockiert über den Prozess in Ada. Ron las Gregs Mitschrift, und er war genauso schockiert über dessen Prozess in Osage County. Sie glaubten einander und ignorierten die Zweifel ihrer Zellennachbarn.
    In den ersten Wochen im Todestrakt hatte die Freundschaft mit Greg eine therapeutische Wirkung auf Ron. Endlich glaubte ihm jemand -

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