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Der Gefangene

Titel: Der Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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jemand, mit dem er stundenlang reden konnte, der intelligent und mitfühlend war und ihm zuhörte. Da Ron jetzt nicht mehr in der höhlenartigen Zelle in Ada war und sich einem Freund anvertrauen konnte, stabilisierte sich sein Verhalten. Er ging nicht mehr stundenlang in seiner Zelle auf und ab und brüllte seine Unschuld hinaus. Die Stimmungsschwankungen waren nicht mehr so heftig. Er schlief viel, las stundenlang, rauchte Kette und redete mit Greg. Sie gingen zusammen in den Hof und deckten sich gegenseitig den Rücken. Annette schickte Geld, und Ron kaufte ein kleines Fernsehgerät aus der Kantine. Da sie wusste, wie wichtig eine Gitarre für ihn war, versuchte sie immer wieder, ihm eine zu besorgen. Die Kantine hatte keine Gitarre auf Lager. Nach unzähligen Telefonanrufen und Briefen erhielt sie von der Gefängnisverwaltung die Genehmigung, in einem Musikgeschäft in McAlester eine Gitarre zu kaufen und sie ins Gefängnis liefern zu lassen.
    Kaum war die Gitarre da, begann auch schon der Ärger. Ron, der die anderen mit seinem Talent beeindrucken wollte, spielte und sang in voller Lautstärke. Die Beschwerden kamen postwendend, doch Ron war das egal. Er spielte für sein Leben gern Gitarre, und er sang auch gern, am liebsten Hank Williams. »Your cheatin' heart« hallte durch den Gang. Die anderen Insassen brüllten ihm Schweinereien zu. Er brüllte sie gleich zurück.
    Irgendwann hatte Soledad genug von Rons Musik und drohte, ihn umzubringen. Na und?, sagte Ron. Mein Todesurteil habe ich doch schon.
    Es wurden keinerlei Anstrengungen unternommen, den F-Trakt mit einer Klimaanlage auszustatten, und als der Sommer kam, wurde es darin so heiß wie in einer Sauna. Die Häftlinge zogen sich bis auf die Boxershorts aus und kauerten sich vor die kleinen Ventilatoren, die sie in der Kantine kaufen konnten. Es war nichts Ungewöhnliches für sie, noch vor der Morgendämmerung aufzuwachen, weil die Laken vom Schweiß nass waren. Einige von ihnen waren den ganzen Tag lang nackt.
    Aus irgendeinem unerfindlichen Grund wurden in McAlester Führungen durch den Todestrakt veranstaltet. Die Touristen waren in der Regel Schüler von Highschools, deren Eltern und Therapeuten hofften, sie auf diese Weise davor bewahren zu können, kriminell zu werden. Wenn es sehr heiß war und die Wärter den Insassen befahlen, sich anzuziehen, hieß das, dass gleich eine Tour kam. Einige gehorchten, andere nicht. Ein Indianer mit dem Spitznamen Buck Naked drückte die Verbundenheit mit seinen Vorfahren dadurch aus, dass er die ganze Zeit über nackt war. Er besaß die seltene Begabung, auf Kommando pupsen zu können, und wenn eine Tour in die Nähe seiner Zelle kam, drückte er die Hinterbacken an die Gitterstäbe und ließ einen gewaltigen Furz entweichen. Die Teenager waren schockiert, was den geregelten Ablauf der Führung gehörig durcheinanderbrachte.
    Die Wärter sagten zu ihm, er solle damit aufhören. Er weigerte sich. Die anderen Häftlinge feuerten ihn an, aber nur während der Führungen. Schließlich holten ihn die Wärter aus der Zelle, wenn Besucher angekündigt waren. Einige Insassen versuchten, es ihm gleichzutun, aber es mangelte ihnen an Talent.
    Ron beschränkte sich darauf, für die Touristen Gitarre zu spielen und ihnen etwas vorzusingen.
    Am 4. Juli 1988 wachte Ron morgens schlecht gelaunt auf und blieb es den ganzen Tag über auch. Es war der Unabhängigkeitstag, an dem Feiern, Paraden und ähnliche Veranstaltungen stattfanden, doch er war in einem stinkenden Rattenloch eingesperrt, für ein Verbrechen, das er nicht begangen hatte. Wo war seine Unabhängigkeit?
    Er fing an zu brüllen und zu fluchen und seine Unschuld zu beteuern, und als er dafür aus den anderen Zellen ausgepfiffen wurde, verlor er die Beherrschung. Er warf alles, was ihm in die Finger kam, an die Wand - Bücher, Zeitschriften, Toilettenartikel, sein kleines Radio, seine Bibel, Kleidung. Die Wärter sahen ihm eine Weile zu und sagten dann, er solle sich beruhigen. Ron beschimpfte sie und brüllte noch lauter. Stifte, Papier, Lebensmittel aus der Kantine flogen durch die Luft. Dann packte er sein Fernsehgerät und rammte es gegen die Ziegelwand, sodass es kaputtging. Schließlich nahm er auch noch seine geliebte Gitarre und schmetterte sie mehrmals gegen die Gitterstäbe seiner Zellentür.
    Die meisten Insassen des Todestraktes schluckten täglich ein Antidepressivum namens Sinequan. Es sollte die Nerven beruhigen und beim Schlafen helfen. Die Wärter

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