Der gefrorene Rabbi
Baumzweig, genannt »der Wurm«, Pretty Pinsky mit dem weich gekochten Gesicht und dem Exweltergewichtsboxer Little Lulki, der Niete. Mit ihnen wurde ich in die dampfenden Straßen der East Side geschickt, um die Räder des Handels zu ölen. Das Glücksspiel- und Prostitutionsgeschäft, das Naf leitete, erforderte erfahrene Kräfte, aber für das Eintreiben von Schutzgeldern und Krediten reichten auch wir schlichten Gorillas. Meistens ging alles routinemäßig über die Bühne: Nachdem er sich angepisst hatte, händigte der säumige Schuldner ohne lange Debatten den Zaster aus. Nur manchmal mussten wir einem jungen Hitzkopf oder einem alten Dattel, der meinte, dass er nichts zu verlieren hatte, ein wenig gut zureden.
Meine Kameraden waren alle im Getto aufgewachsen, überwiegend Juden, aber auch ein paar Italiener aus der Mulberry Street und Iren von den East-River-Docks hatten sich zu uns verlaufen. Alle waren Zöglinge staatlicher Besserungsanstalten und hatten Strafen in städtischen Gefängnissen abgesessen, manche trotz ihrer Jugend sogar schon in einem Bundesknast. Wegen meiner behüteten Kindheit und weil ich noch grün hinter den Ohren war, wie sie es nannten, musste ich ständig beweisen, dass ich ihre Freundschaft verdiente. Und diese Gelegenheiten waren mir sehr willkommen. Zwar glaube ich nicht, dass je eines meiner Opfer seinen Verletzungen erlegen ist, aber manchmal war ich zugegebenermaßen etwas übereifrig, um der Gang meine Loyalität zu bekunden.
Obwohl Naftali Kupferman viele Eisen im Feuer hatte (und es von der umgedrehten Golfmütze zum seidenen Borsalino gebracht hatte), blieb er als Schnapsschmuggler ein kleiner Fisch. Dabei fehlte es ihm nicht an Ehrgeiz. Zwar hatte ihn vor allem die Schutzgelderpressung im Tenth Ward zu einer bekannten und gefürchteten Größe gemacht, doch er verfügte nicht über das Kapital und den Einfluss, um groß ins Alkoholgeschäft einzusteigen. Dafür brauchte man Beziehungen zu den höheren Ebenen der Unterwelt; man musste die Richter und Politiker in der Tasche haben; man benötigte das Kleingeld für die Miete von Lagerhallen, für Lastwagen, für Bestechungszahlungen, für Bewaffnete, die den Transport vor Entführern schützten, und natürlich auch für den Alkohol. Trotzdem hatte Naf, gemessen an den Standards der Zeit, ein komfortables Auskommen. Nur das ganz große Geld blieb ihm immer verwehrt. Er musste sich mit dem Betrieb einiger Kellerdestillerien und einem Anteil an einer Brauerei auf der anderen Seite des Hudson begnügen.
Die Hoboken Cereal Beverage Company, die offiziell alkoholfreies Bier herstellte, verwandelte einen Großteil ihrer Produktion in ein höherprozentiges illegales Erzeugnis, und zwar mithilfe eines unterirdischen Rohrsystems, das zu einem anderen, mehrere Straßen entfernten Gebäude führte. Dort wurde das Bier in Fässer und Flaschen abgefüllt und im Schutz der Nacht auf Fuhrwagen verladen. Bei diesen Spätschichten überschnitt sich unser Wirkungskreis mit dem der berüchtigteren Unterweltorganisationen. Wenn diese großen Nummern auf verspätete Überseelieferungen warteten, traten sie unter Umständen an Naf heran, um ihre Lager vorübergehend aufzufüllen. Meistens gingen solche Anfragen mit höhnischen Kommentaren über die Qualität des Hoboken-Fusels einher. An einem vereinbarten Treffpunkt im Meatpacking District fand der Austausch von Ware gegen Geld statt. Bei diesen Gelegenheiten hielten es die Gesandten von Waxey Gordon, der nur dem Superhirn Arnold Rothstein unterstand, bisweilen für angemessen, uns an unseren bescheidenen Rang in der Welt des Verbrechens zu erinnern. Da kamen sie bei mir an den Falschen. Solange sie nur mit ihren Erfolgen prahlten, war mir das egal, aber es passte mir nicht, mit der Nase auf meine Zweitklassigkeit gestoßen zu werden.
Einer, der sich bei diesen verächtlichen Äußerungen über uns besonders hervortat, war Dago Cohen, der todschick gekleidete Chef des Haufens, der für Waxey und seinen Partner Maxey Greenberg arbeitete (Letzterer hatte sich mit importiertem Rum eine goldene Nase verdient). Als ich beschloss, ihm und seinen Handlangern einen Steinwurf vom Cunard Pier entfernt eine Lektion in Manieren zu erteilen, fiel ich durch meine boxerischen Fähigkeiten auf. Und alles andere wäre auch ein Wunder gewesen, wenn es vier gegen einen stand und zwei von ihnen sich gebrochene Knochen im Krankenhaus zusammenflicken lassen mussten. Während dieser Auseinandersetzung schauten meine
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