Der gefrorene Rabbi
Shein.«
»Hallo«, meinte der Schläger, der (genau wie sein Boss) im Viertel berüchtigt war. »Und jetzt zieh Leine.«
Da packte mich wieder der gerechte Zorn. »Mein Papa braucht euren Schutz nicht«, fauchte ich, begeistert von meiner Frechheit.
Shtrudel Louie runzelte die Stirn, dann verschwand sein Kopf, und die Tür klappte zu. Ich hörte gedämpftes Murmeln durch die Radiostimme, die die Zuhörer aufforderte dranzubleiben; nach einer Mitteilung von »Quick, Henry, the Flit!« stand als Nächstes ein Orchesterarrangement von »Runnin’ Wild« auf dem Programm. Dann öffnete sich die Tür wieder, und Shtrudel Louie mit seinem Gesichtserker, den zusammengewachsenen Augenbrauen und der schiefen Fliege trat aus einem Zimmer, das genauso kahl war wie das, in dem ich stand: Spärliches Mobiliar umringte den Rundfunkempfänger mit dem tubagroßen Lautsprecher auf dem Ehrenplatz in der Mitte. Nach Shtrudel kam sein kleinerer, untersetzter Kumpan, dessen Weste sich wie ein Korsett über seinem aufgedunsenen Wanst spannte. Wie Trauzeugen nahmen sie zu beiden Seiten von mir Aufstellung, als sich ein dritter Mann aus dem Büro schob und sich mit einem Gesichtsausdruck vor mir aufbaute, der darauf schließen ließ, dass er sich etwas Amüsantes erwartete.
»Wer stört uns zu dieser frühen Stunde bei der Arbeit?«, zwitscherte er vergnügt.
Ein vernünftiger Mensch hätte sich wahrscheinlich sofort in die Hose gemacht, aber so etwas wie Furcht gab es noch nicht in meinem Koordinatensystem. »Ruby«, antwortete ich. »Ruby Kid Karp.« Innerlich jauchzte ich, weil es kein Zurück mehr gab. »Und wer sind Sie?«
Natürlich hatten ihn die gemusterten Golfhosen und Strümpfe zusammen mit den Glanzlederschuhen und dem mittelgescheitelten Glanzlederhaar längst als Nat den Scherzer ausgewiesen.
Ohne auf meine Frage einzugehen, setzte er mit einem schwer über das träge Auge sinkenden Lid seine eigenen Erkundigungen fort. »Und dein Papa, Kid? Wie heißt er gleich wieder?«
Wollte er sich mit der Bezeichnung »Kid« über mich lustig machen, oder hatte er meinen frisch erfundenen Nom de Guerre im Ernst verwendet? So oder so sah ich keinen Grund, um den heißen Brei herumzureden, und legte möglichst viel Stolz in meine Erwiderung: »Schmerl Karp von Karp’s Ice Castle.«
»Darf ich das so verstehen, dass dich dein Papa hergeschickt hat, um das großzügige Angebot zur Gesundheitsvorsorge abzulehnen? Welches andere Programm, so frage ich dich, kann so ausgezeichnet sein, dass es eine Entschädigung für ein ausgestochenes Auge oder einen eingeschlagenen Schädel darstellt?«
»Mich hat niemand geschickt«, erklärte ich. »Ich bin von allein gekommen.«
Naf der Scherzer zupfte an den Hosenträgern und wiegte sich auf den Fersen. »Na, da hast du ja wirklich Eigeninitiative bewiesen, mein Sohn.«
Einer ersten Regung folgend wollte ich ihm »Ich bin nicht Ihr Sohn!« an den Kopf werfen, aber dann dachte ich mir, dass man es schlechter treffen könnte.
»Das Dumme ist«, fuhr er fort, »nach unseren Aufzeichnungen haben wir bereits einen Vertrag mit deinem Papa. Mr. Shein, Mr. Turtletaub …« Seine Augen, eines träge, das andere tückisch, wanderten zu seinen Kollegen. »Wie verfahren wir mit Klienten, die mit ihren Zahlungen in Rückstand geraten?«
Der kinnlose Mr. Turtletaub, dessen Alter ich auf fünfundzwanzig bis sechzig schätzte, übernahm die Antwort. »Wir nageln ihren poz an den Türpfosten und essen ihre Familie zum Frühstück.«
Der Scherzer verzog das Gesicht. »Ich denke, in diesem Fall müssen wir nicht zu derart drastischen Maßnahmen greifen. Ich glaube sogar, dass sich der Junge in seinem Anliegen getäuscht hat. Hat dich dein Papa nicht eher hergeschickt, um seinen guten Willen zu zeigen? Als Pfand oder Bürgschaft, wie es so schön heißt? Bis dein Papa seine Finanzen in Ordnung gebracht hat, bist du sozusagen sein Schuldschein.«
»Von meinem Papa kriegt ihr bobkeß«, stellte ich kategorisch klar und spürte ein Kribbeln am ganzen Körper.
Naf fixierte mich mit seinem gesunden Auge, dann zuckte er bedauernd die Achseln. »In diesem Fall hilft uns der Schuldschein nichts, nicht wahr, Gentlemen?« Offenbar hatte er die Idee mit der Geisel wieder aufgegeben. Dann nickte er seinen beiden Pennern zu, die mich plötzlich an Brust und Beinen packten.
Bevor ich mich losreißen konnte, wurde ich hochgehoben, strampelnd durchs Zimmer getragen und aus dem Fenster auf die Forsyth Street geworfen,
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