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Der gefrorene Rabbi

Der gefrorene Rabbi

Titel: Der gefrorene Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Stern
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über eine Organisation mit Zukunft; er und seine Leute waren Profis. Dagegen war die Gang des Scherzers nur eine Eintagsfliege und die Lower East Side nur der schmutzige Hinterhof des Broadways.
    Schlimmer noch, trotz der Vorteile, die ich ihm persönlich verschafft hatte, ging es mit Naftali Kupferman bergab. Er steckte bis zum Hals in Schulden, weil er alles daransetzte, sich im Schnapsgeschäft zu halten. Die Zahlungen an die Tammany-Gestalten, die städtischen Richter und die Bezirksstaatsanwälte fraßen den Gewinn aus seinen anderen Geschäftszweigen auf, und seine Vorstöße in fremdes Revier hatten in dem zerbrechlichen Gefüge aus Unterweltbündnissen für Verstimmung gesorgt. Daher drohte ihm nicht nur der Bankrott, sondern er musste auch fürchten, in einen Bandenkrieg zu geraten, den er nicht überleben konnte. Aus meinem mobilen Blickwinkel beobachtete ich einigermaßen amüsiert, wie er sich wand, aber ich vergaß auch nie, wie tief ich in seiner Schuld stand. Weil Naftali eine Persönlichkeit besaß, die sich ständig zwischen pfauenhaftem Posieren und händeringender Verzweiflung bewegte, war es nicht leicht, mit ihm warm zu werden. Auf dem Golfschläger, den er manchmal wie ein Zepter, manchmal wie ein Kindergewehr geschwungen hatte, lehnte er jetzt wie auf einem Krückstock, und es ging das Gerücht, dass seine Syphilis ein gefährliches Stadium erreicht hatte.
    Weckten schon seine Launen nicht unbedingt Sympathie, so galt dies umso mehr für die Sticheleien, mit denen er und seine Statthalter andeuteten, ich sei ihrer bescheidenen Gesellschaft entwachsen. »Kid hat inzwischen größere latkeß zu braten«, hieß es da zum Beispiel. Ich versuchte, ihnen klarzumachen, dass ich nach wie vor zu ihnen stand, aber im Grunde hatten sie natürlich recht: Das alte Getto war mir genauso eng geworden wie früher die Alrightnik Row. Dann tat Naf kund, dass er in jüngster Zeit seine Schutzgeldraten angehoben hatte und sich gezwungen sah, die bisher verschonten Unternehmen wegen ausstehender Zahlungen zu mahnen. Das betraf insbesondere auch Karp’s Ice Castle, dem aufgrund seiner verstockten Haltung dringend ein Denkzettel verpasst werden musste.
    »Das ist überhaupt nichts Persönliches, Kid.« Aus seinem schläfrigen Auge tränte perlmuttfarbene Flüssigkeit. Mir war sofort klar, dass ich auf die Probe gestellt wurde, doch ich versicherte ihm, dass ich verstand. Dann teilte er mir mit, dass er diese Aufgabe keinem anderen überlassen wollte.
    Wahrscheinlich zum ersten Mal in meinem Leben fragte ich mich, ob ich ein Gewissen hatte, und kam zu dem Schluss, dass das offenbar nicht der Fall war. Natürlich schwankte ich, aber das lag eher daran, dass meine Loyalität infrage gestellt wurde. Da mir Dago zugesichert hatte, dass es für mich in Waxeys Gang immer einen Platz gab, hatte ich gute Lust, mich auf der Stelle zu verabschieden. Aber irgendetwas in mir sträubte sich dagegen, alle Brücken hinter mir abzubrechen. Naftali war mein erster Wohltäter, und was kostete es schon, seine Achtung zurückzugewinnen? Ehrlich gesagt hatte ich gedacht, dass Brandstiftung als Mittel der Überredung zusammen mit Daumenschrauben und eisernen Jungfrauen ausgestorben war. Es war viel wahrscheinlicher, dass die Unternehmen ihren Besitz selbst abfackelten - schon seit Generationen war der »jüdische Blitz« im Viertel verbreitet. Ein Feuer würde meinen Vater nicht in den Ruin treiben, da er versichert war. Außerdem wartete der wurmstichige alte Kasten doch nur auf einen Unfall. Im Grunde tat ich ihm einen Gefallen, und danach konnte er alles nach modernen Gesichtspunkten wieder aufbauen. Außerdem hatte Naf recht: Er hatte einen Denkzettel verdient. Dazu kam, dass ich noch nie ein richtig großes Freudenfeuer gelegt hatte.
     
    Naftali teilte mir Pretty Pinsky, den Pyrotechniker der Gang (sein verbrühtes Gesicht war seine Visitenkarte), und Morris Baumzweig als Helfer zu. Da die Arbeit im Ice Castle früh begann und spät aufhörte, blieb uns nur ein kurzer Zeitraum, in dem wir unseren Auftrag unbemerkt ausführen konnten. Pretty und Morris, dessen Spitzname »der Wurm« von seiner angeblichen Fähigkeit herrührte, durch Schlüssellöcher zu kriechen, hatten Flaschen dabei, die mit Benzin und Teer (damit es besser klebte) gefüllt und mit ölgetränkten Lappen zugestopft waren, während ich auf dem Rücken einen Fünfgallonenkrug Holzterpentin schleppte. Hätte uns jemand beobachtet, hätte er sofort gewusst, was wir im

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